.... einer, der immer klüger wird: Alexander Kluge |
Während jedoch die revolutionären Subjekte, von denen Marx
spricht, sich als Gestalten vergangener Epochen
kostümierten, „kostümieren“ wir Jihadisten, die uns als Gestalten einer
barbarischen Vergangenheit erscheinen,
als Zeitgenossen.
Aber: Gerät unsere
These vom Abwehrcharakter der Auffassung, der politische Islam sei ein modernes
Phänomen (und kein archaisches), nicht sofort ins Wanken, wenn wir sie mit
dieser Marxschen Denkfigur konfrontieren? Könnte, was - Marx zufolge - für die französischen
Revolutionäre, für Luther, Cromwell etc. gilt, nicht auch für Jihadisten von
heute gelten? Daß sie in Wahrheit Zeitgenossen
sind, die sich bloß als archaische Gotteskrieger imaginieren und kostümieren? In diesem Fall hätte unsere
Denkoperation sie nicht künstlich „zeitgemäß gemacht“, wir hätten sie vielmehr -
umgekehrt - aus ihren künstlichen Kostümen befreit. Und in die Gegenwart zurückgeholt.
Wir werden auf
diese Frage noch zurückkommen. Zunächst ist
uns jene Marxsche Denkfigur aber noch einen Denkanstoß schuldig.
„Die
Tradition aller toten Geschlechter lastet wie ein Alp auf dem Gehirne der Lebenden.
Und wenn sie eben damit beschäftigt scheinen, sich und die Dinge umzuwälzen, noch
nicht Dagewesenes zu schaffen, gerade in solchen Epochen revolutionärer Krise
beschwören sie ängstlich die Geister der
Vergangenheit zu ihrem Dienste herauf.“1
Die Beschwörung der „Geister der Vergangenheit“, wie Marx jene
Kostümierungen hier - in weiterer Folge - bezeichnet, ist für ihn eine unvermeidliche,
aber unerwünschte Nebenwirkung
revolutionärer Anstrengungen.
Warum es aber „gerade
in solchen
Epochen revolutionärer Krise“, in denen der Blick der revolutionären Massen und
ihrer Führer in die Zukunft gerichtet sein sollte, zu dieser eigenatigen Regression
in die Vergangenheit kommt, wird nicht klar.
Könnte es nicht sein, daß wir es bei dieser „Regression innerhalb der
Progression“ nicht mit einer unerwünschten Nebenwirkung
zu tun haben, sondern mit einer wesentlichen - und potentiell sogar „positiv“
aufzufassenden - Voraussetzung jeder
großen revolutionären Bewegung? Daß Emanzipation und Fortschritt ohne
Regression in die Vergangenheit - und Anrufung ihrer Geister - nicht zu haben
sind?
In einem Video-Interview mit dem Wochenmagazin „der Freitag“2 stellt
Alexander Kluge eine simple, für unseren Zusammenhang erhellende Überlegung an.
Von den drei Kategorien Vergangenheit, Gegenwart, Zukunft, so Kluge, stünde
uns bloß die Vergangenheit zur Verfügung: Die Zukunft existiere nur als Möglichkeit
und als Wunsch, die Gegenwart sei ein unfaßbar kurzer, geradezu inexistenter
Moment zwischen Vergangenheit und Zukunft. Bliebe nur – die Vergangenheit. Die
Zukunft müsse daher „in den Vergangenheiten enthalten“ sein.
wird
fortgesetzt
1 Karl Marx: Der achtzehnte
Brumaire des Louis Bonaparte. Frankfurt am Main 2007, S. 9
2 http://www.dctp.tv/filme/auswege-aus-der-gegenwart
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