Gustave Le Bon |
Ja, warum
eigentlich?
Die Ablehnung
der Institution der Zeitehe durch weite Teile der iranischen Gesellschaft scheint
Freuds zentrale kulturtheoretische These, wonach die Kultur die Triebnatur des Menschen
unterdrückt, und seinem Glück daher im Wege steht1, klar zu widerlegen.
Die Menschen im Iran, denen „ihre Kultur“ die sexuelle Lust zu erlauben,
um nicht zu sagen, zu gebieten versucht,
scheinen um jeden Preis an der Unlust
festhalten zu wollen. Etwa als „weiße Eheleute“, die sich für die Monogamie und
gegen die - im Rahmen der Zeitehe den Männern gestatteten synchronen, und
Männern und Frauen erlaubten
seriellen - Polygamie entscheiden, und dabei auch noch das Risiko drakonischer
Strafen in Kauf nehmen.
Der Kultur
wird in Sigmund Freuds kulturkritischen Schriften allerdings nicht immer nur die
Rolle der Triebunterdrückerin zugeschrieben. In Massenpsychologie und Ich-Analyse
(1921) ist ausgehend von Gustave Le Bons2 Theorien die Rede davon,
daß in der Masse „alle grausamen, brutalen, destruktiven Instinkte [...] zur
freien Triebbefriedigung geweckt werden“3. Unter „Masse“ versteht
Freud nicht bloß flüchtige, unorganisierte, sondern auch dauerhafte und
organisierte Formationen - namentlich das Heer und die Kirche. Heer und Kirche aber
sind im Freud’schen Verständnis Institutionen - der „Kultur“.
Triebgewähernd erscheint die Kultur hier aber
eben nur in Bezug auf die destruktive Seite unserer Triebnatur - nicht in Bezug
auf Sexualität.
In jüngerer Zeit hat Robert Pfaller mit seiner Neuinterpretation des psychoanalytischen Begriffs der Sublimierung gezeigt, daß eine
psychoanalytische Kulturtheorie Kultur als eine Instanz zu denken
vermag, die sexuelle Triebe nicht immer nur unterdrückt, sondern die ihre Befriedigung unter Umständen überhaupt erst ermöglicht.
Kultur, so Pfaller, habe das Potential,
„ ... Dinge,
die [...] anstößig oder abstoßend erscheinen, durch einen Kunstgriff in etwas
zu verwandeln, das triumphale Freude bereiten kann.“
und
„aus diesen
Dingen etwas Sublimes“ zu machen4.
Pfaller faßt
Sublimierung nicht als Nutzbarmachung sexueller Triebenergien für „höhere,
kulturelle Ziele“ auf, sondern als die Umwandlung eines bestimmten Triebobjekts
qua Kultur in etwas Sublimes – und somit „genießbares“.
wird fortgesetzt
(1) Vgl. Sigmund
Freud, Das Unbehagen in der Kultur,
Frankfurt am Main 1994
(2) Vgl.
Gustave Le Bon, Psychologie der Massen,
Stuttgart 2008
(3) Sigmund
Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse.
In ders., Gesammelte Werke, Bd XIII, Frankfurt am Main 1999, S. 84
(4) Robert Pfaller, Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur, Frankfurt am Main 2008, S. 127
(4) Robert Pfaller, Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur, Frankfurt am Main 2008, S. 127
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