Donnerstag, 5. Februar 2015

Vögeln ist schön – warum wir aber nicht fliegen (3)


Gustave Le Bon
„Warum“, so ein besorgter online-Kommentar in einem Diskussionsforum der iranischen Nachrichtenagentur Fars News, „warum verbieten wir uns selbst, was uns Gott erlaubt hat?“

Ja, warum eigentlich?

Die Ablehnung der Institution der Zeitehe durch weite Teile der iranischen Gesellschaft scheint Freuds zentrale kulturtheoretische These, wonach die Kultur die Triebnatur des Menschen unterdrückt, und seinem Glück daher im Wege steht1, klar zu widerlegen. Die Menschen im Iran, denen „ihre Kultur“ die sexuelle Lust zu erlauben, um  nicht zu sagen, zu gebieten versucht, scheinen um jeden Preis an der Unlust festhalten zu wollen. Etwa als „weiße Eheleute“, die sich für die Monogamie und gegen die - im Rahmen der Zeitehe den Männern gestatteten synchronen, und Männern und Frauen erlaubten seriellen - Polygamie entscheiden, und dabei auch noch das Risiko drakonischer Strafen in Kauf nehmen.

Der Kultur wird in Sigmund Freuds kulturkritischen Schriften allerdings nicht immer nur die Rolle der Triebunterdrückerin zugeschrieben. In Massenpsychologie und Ich-Analyse (1921) ist ausgehend von Gustave Le Bons2 Theorien die Rede davon, daß in der Masse „alle grausamen, brutalen, destruktiven Instinkte [...] zur freien Triebbefriedigung geweckt werden“3. Unter „Masse“ versteht Freud nicht bloß flüchtige, unorganisierte, sondern auch dauerhafte und organisierte Formationen - namentlich das Heer und die Kirche. Heer und Kirche aber sind im Freud’schen Verständnis Institutionen - der „Kultur“.

Triebgewähernd erscheint die Kultur hier aber eben nur in Bezug auf die destruktive Seite unserer Triebnatur - nicht in Bezug auf Sexualität.

In jüngerer Zeit hat Robert Pfaller mit seiner Neuinterpretation des psychoanalytischen Begriffs der Sublimierung gezeigt, daß eine psychoanalytische Kulturtheorie Kultur als eine Instanz zu denken vermag, die sexuelle Triebe nicht immer nur unterdrückt, sondern die ihre Befriedigung  unter Umständen überhaupt erst ermöglicht. Kultur, so Pfaller, habe das Potential,

„ ... Dinge, die [...] anstößig oder abstoßend erscheinen, durch einen Kunstgriff in etwas zu verwandeln, das triumphale Freude bereiten kann.“

und

„aus diesen Dingen etwas Sublimes“ zu machen4.

Pfaller faßt Sublimierung nicht als Nutzbarmachung sexueller Triebenergien für „höhere, kulturelle Ziele“ auf, sondern als die Umwandlung eines bestimmten Triebobjekts qua Kultur in etwas Sublimes – und somit „genießbares“.

wird fortgesetzt


(1) Vgl. Sigmund Freud, Das Unbehagen in der Kultur, Frankfurt am Main 1994

(2) Vgl. Gustave Le Bon, Psychologie der Massen, Stuttgart 2008

(3) Sigmund Freud, Massenpsychologie und Ich-Analyse. In ders., Gesammelte Werke, Bd XIII, Frankfurt am Main 1999, S. 84 

(4) Robert Pfaller, Das schmutzige Heilige und die reine Vernunft. Symptome der Gegenwartskultur, Frankfurt am Main 2008, S. 127

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