Hinweis: Der folgende sechste Teil entspricht dem umgearbeiteten fünften.
In der Kultur ist aber nicht bloß das Verbot enthalten, sondern auch jenes Aufbegehren, das – folgt man dem Freudschen Urhorden-Mythos - dereinst die Revolution gegen den Urvater auslöste. In der Totemmahlzeit kommt beides zum Ausdruck: Gedenken und Wiederholung. Das Beweinen des Ermordeten ermöglicht - gewissermaßen rückwirkend - die symbolische, dem Gedenken in der Dramaturgie des Rituals vorangehende Wiederholung des Mordes. Dem Gedenken folgt schließlich: „lauteste Festfreude“ (über den Mord) und die „Entfesselung aller Triebe“. Die Reproduktion des triebbefreienden, genauer: auf Triebbefreiung abzielenden, Mordes am Urvater in den Ritualen der Kultur soll den triebunterdrückenden Anteilen derselben, Nachhall der Ur-Reue nach der Revolution, entgegenwirken.
In der Kultur ist aber nicht bloß das Verbot enthalten, sondern auch jenes Aufbegehren, das – folgt man dem Freudschen Urhorden-Mythos - dereinst die Revolution gegen den Urvater auslöste. In der Totemmahlzeit kommt beides zum Ausdruck: Gedenken und Wiederholung. Das Beweinen des Ermordeten ermöglicht - gewissermaßen rückwirkend - die symbolische, dem Gedenken in der Dramaturgie des Rituals vorangehende Wiederholung des Mordes. Dem Gedenken folgt schließlich: „lauteste Festfreude“ (über den Mord) und die „Entfesselung aller Triebe“. Die Reproduktion des triebbefreienden, genauer: auf Triebbefreiung abzielenden, Mordes am Urvater in den Ritualen der Kultur soll den triebunterdrückenden Anteilen derselben, Nachhall der Ur-Reue nach der Revolution, entgegenwirken.
Aber der
Trieb ist nicht erst seit dem Urvater-Mord in der Welt. Wir stellen uns - im
Gegenteil - den Genuß des unumschränkt herrschenden, mythischen Urvaters, dem
sämtliche Frauen der Horde zu Gefallen sein mußten, ungleich „voller“ vor, als den
der Brüder, die nach der Tat nicht nur von Schuld und von Reue geplagt, sondern
auch dem Zwang unterworfen waren, Rücksicht auf das Gemeinwohl zu nehmen.
Wenn wir nun
aber in der Reproduktion des Mordes
am Urvater in den verschiedensten Gestaltungen der Kultur - im Fest, im Spiel, in
der Kunst, in Ritualen der Alltagskultur ..., und prototypisch in der
Totemmahlzeit - eine triebbefreiende
Funktion am Werk sehen, dann müßten wir der Reproduktion des Motivs jenes Mordes, also der Sehnsucht nach
dem „vollen Genuß“ des Urvaters, eine ebenso starke triebbefreiende Kraft zubilligen.
Wenn nicht eine stärkere.
Sollte eine
solche Reproduktion – besser: der Versuch einer solchen Reproduktion - des
vollen Genusses des Urvaters „irgendwo in der Kultur“ existieren, dann wäre die
Praxis der Zeitehe im heutigen Iran der exemplarische Fall davon.
Der typische
Zeit-Ehemann, so Mortezai in einem Interview (1), ist älter und reich, die
typische Zeit-Ehefrau arm und deutlich jünger als dieser. Häufig handle es sich
um Mädchen, die ursprünglich sehr jung verheiratet, und bald darauf - und häufig
noch immer sehr jung - von ihren oft gewalttätigen Ehemännern geschieden worden
wären, um dann „vor dem Nichts zu stehen“. Vor dem der neue, reiche Zeit-Ehemann
sie dann retten würde.
Was genau
heißt „sehr jung verheiratet“? Nach offiziellen Behördenangaben wurden allein
im Zeitraum zwischen März 2010 und März 2011 (dies entspricht dem Jahr 1389 des
iranischen Kalenders) über 42.000 Mädchen zwischen zehn und vierzehn Jahren
verheiratet (2). 1974, fünf Jahre vor der Revolution, war das Heiratsalter für beide
Geschlechter, internationalen Standards entsprechend, auf achtzehn Jahren angehoben
worden. Nach der Revolution wurde es dann für Mädchen auf neun, für Jungen auf
fünfzehn Mondjahre gesenkt. Um dann 2002 für Mädchen auf Dreizehn erhöht zu
werden. Nichtsdestotrotz kann aber, das Einverständnis des Vaters
vorausgesetzt, auch heute noch ein „kompetenter Richter“ Mädchen unter Dreizehn
die Heiratsfähigkeit attestieren – immer wieder betrifft dies auch Mädchen unter
Neun.
„Vor allem Mädchen
aus armen Familien seien von solchen frühen Zwangsverheiratungen bedroht, sagt
die [iranische Rechtsanwältin und Friedensnobelpreisträgerin, Shirin Ebadi] ..
Das sei ‚eine Art Menschenhandel ... Denn meist werden die jungen Mädchen mit
wohlhabenden Männern verheiratet. und die Eltern handeln dabei für sich hohe
Brautgelder aus.’“ (3)
Die Existenz
hunderttausender Kinderehen, das aus dem sozialen und dem Altersunterschied resultierende
Machtgefälle sowie die (zumindest gesetzlich vorhandene) Möglichkeit der
Polygamie – alles das erscheint als Reinszenierung der Position des Urvaters - der
Verknüpfung von Lust und Herrschaft in der Urhorde.
(1) https://www.youtube.com/watch?v=6TJr_HAe5UE
(2)
http://www.tabnak.ir/fa/news/294842/ازدواج-75-کودک-زیر-10-سال-در-تهران
(3) http://iranjournal.org/politik/gestohlene-kindheit-kinderehen-im-iran
(3) http://iranjournal.org/politik/gestohlene-kindheit-kinderehen-im-iran
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