Nach einem
Vortrag von mir über den Islam entwickelte sich im Foyer des
Veranstaltungssaals der folgende Dialog. Ein junger Journalist, mit - wie
er betonte - internationaler Erfahrung, verwickelte mich in ein Gespräch, und meinte
sinngemäß: Was immer wir über den Islam denken mögen - wir sollten ihn auf
jeden Fall respektieren. Dies sagte
er mit solcher Bestimmtheit, daß ich im Begriff war, ihm ohne weiteres zuzustimmen.
Ich zögerte aber, und fragte, einem
Einfall folgend:
„Sie
respektieren also den Islam?“
„Ja“, sagte er.
„Was genau“,
fragte ich, „respektieren Sie an ihm?“,
Und setzte, da
er offensichtlich Mühe hatte, zu antworten, nach.
„Der Islam ist
doch ein Glaube - Glaubenslehre und Glaubenspraxis. Und als Glaubenslehre und -praxis
hat er konkrete Inhalte. An welche konkreten Inhalte dieser Glaubenslehre, resp.
–praxis denken Sie, wenn Sie sagen, Sie respektieren den Islam?“
Mein Gegenüber
schwieg weiter, und ich begann mehrere - zurückhaltend formuliert - problematische
Aspekte der islamischen Glaubenspraxis aufzuzählen.
„Respektieren
Sie es etwa, daß in einigen islamisch geprägten Ländern Apostaten (1) und Homosexuellen
die Todesstrafe droht? Ehebrecher(inne)n gar die Steinigung? Daß etwa im Iran, offiziellen
Angaben der Behörden zufolge, Jahr für Jahr zehntausende Mädchen zwischen zehn
und fünfzehn, mitunter auch unter zehn Jahren verheiratet werden? Daß - “
Nein, meinte
der Journalist, das respektiere er natürlich
nicht – und daß man den Islam auch anders interpretieren könne: Liberaler, aufgeklärter,
moderner.
„Ja“, sagte
ich, „das kann man natürlich. Es gibt verschiedene Interpretationsweisen des
Islams und verschiedene Weisen, ihn zu leben. Sie respektieren den Islam aber nur, sofern er Ihren eigenen aufgeklärten und liberalen Vorstellungen entspricht. Sie
respektieren also nicht ‚den Islam’, als
das Andere und das Fremde, Sie respektieren, im Gegenteil, bloß Ihre eigenen Haltungen - als modernes, aufgeklärtes, demokratisch
gesinntes Subjekt.“
*
Die Rede vom „Respektieren-müssen“
des Islams, die unter weltoffenen und aufgeklärten Zeitgenossen so verbreitet ist, daß ich das skizzierte
Gespräch, hätte es nicht so und nicht anders stattgefunden, erfinden hätte müssen
- diese Rede scheint also bei genauerem Hinsehen das Gegenteil dessen zu
enthalten, was sie zu enthalten vorgibt: Es ist nicht der Journalist, der „den
Islam“ respektiert – er erwartet vielmehr vom Islam, daß er ihn, den Journalisten, und seine Werte respektiere.
Dennoch
sollten wir der Versuchung widerstehen, diese Rede als substanzlos abzutun. Als
Gerede, das sich, bei Lichte betrachtet, in Nichts auflöst. Stattdessen sollten
wir uns fragen, wie das offensichtlich falsche Bewußtsein, das sich in solcher Rede
ausdrückt, überhaupt zustande kommt. Und was denn - wenn es so offenbar
falsch ist – die Verbreitung und Wirkmächtigkeit dieses Bewußtseins ausmacht.
Wie kommt es,
daß so viele sich als weltoffen und aufgeklärt empfindende Zeitgenossinnen und
–genossen sich ihrem eigenen Denken gegenüber so unaufgeklärt zeigen? Daß sie vor den Widersprüchen dieses ihres eigenen
Denkens die Augen verschließen? Daß sie nicht wissen, was sie sagen?
Daß die Falschheit
der Aussage „Ich respektiere den Islam“ leicht durchschaubar sein müßte, in aller Regel aber nicht durchschaut
wird - dieser Zusammenhang verdient unsere
besondere Beachtung. Weist er doch auf den dringenden
Wunsch vieler moderner, demokratisch
gesinnter Subjekte hin, an deren Wahrheit zu glauben. Zu glauben - als moderne, demokratisch gesinnte Subjekte -
„den Islam“ respektieren zu können (und
nicht nur einen Islam, der seinerseits Demokratie, Aufklärung und Moderne respektiert,
so daß sich jene Respektbezeugung in ihr Gegenteil verkehrt). Und es spricht
für die Stärke jenes Wunsches, daß er es möglich macht, diesen Glauben seiner
Absurdität zum Trotz aufrechtzuerhalten.
Ein Glaube,
der sich aus einem starken Wunsch speist, ist seinerseits stark, so daß wir, in
Abwandlung des Tertullian zugeschriebenen Diktums „Credo quia absurdum“ („Ich
glaube, gerade weil es absurd ist“) (2),
sagen können: Gerade weil die Behauptung jener modernen, demokratisch gesinnten Zeitgenossen,
sie würden (als moderne, demokratisch gesinnte Zeitgenossen) „den Islam“ respektieren,
offenkundig absurd ist, gerade dieser Absurdität wegen, müssen wir hinter jener
Behauptung einen – starken - Glauben annehmen.
Oder anders: Gerade
weil er absurd ist, ist dieser
Respekt eigentlich - ein Glaube.
wird fortgesetzt
(1) Apostasie
ist der Abfall vom Glaube, ein Apostat ein Abtrünniger, vom Glauben
Abgefallener.
(2) Das
geflügelte „Credo quia absurdum“ ist seinerseits die Abwandlung eines Satzes aus Tertullians Streitschrift De Carne Christi (Über den Leib Christi): „Et mortuus est Dei Filius, prosus credibile est, quia ineptum est.“ („Gestorben ist Gottes Sohn; es ist ganz glaubhaft, weil es ungereimt ist.“)
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