Oder rührt der Unterschied zwischen Österreich 2016 und Frankreich 2002 daher, daß sich in den Debatten nach dem ersten Wahlgang der Bundespräsidentenwahl 2016 in Österreich eine Stimme zu Wort meldete, die im Frankreich des Jahres 2002 gefehlt hatte – die des Schriftstellers Thomas Glavinic?
Glavinic hatte nach Hofers Sieg im ersten Wahlgang auf seiner Facebook-Seite folgendes gepostet: „Diese Selbstgefälligkeit ... mit der hier Menschen, die ich für intelligent halte, alle Wähler von Norbert Hofer in Bausch und Bogen als Nazis, Pack, Bagage und Abschaum niedermachen, ist mit zuwider“. Damit habe er, wie er, wenige Tage später präzisierte, „einen Widerspruch“ gemeint, „der für mich darin besteht, [...] sich als links stehend per se für moralische Wahrheitsbesitzer zu halten und zugleich Andersdenkende als Dreck und Abschaum zu bezeichnen“ 1.
Das Posting schlug hohe Wellen – und trug wesentlich zu jener „Nur-ja-kein-antifaschistischer-Wahlkampf“-Stimmung bei, zu deren Repräsentanten Glavinic wurde.
Bei denen, die sich als ihre Adressaten fühlten, löste Glavinics Kritik Unbehagen und Ratlosigkeit aus – jenes Unbehagen, das uns befällt, wenn wir spüren, daß an einem Argument etwas faul ist, ohne dieses Etwas benennen zu können.
Das mag daran liegen, daß Glavinic - ganz im Sinne des Unterstaatssekretärs Screwtape - nicht die Tugend kritisiert, sondern das Laster. Und nicht dem Laster das Wort redet – sondern der Tugend. Wer mag schließlich seinem „Entrüstungsgeschrei“ widersprechen, das sich gegen das Laster richtet, alle Hofer-Wähler als „Dreck“ und „Abschaum“ „nieder[zu]machen“? Und wer kann sich ernsthaft gegen die Tugend des „Respekt[s] im gegenseitigen Austausch unterschiedlicher Standpunkte“ stellen?2
Mit Glavinic hätte Screwtape jedenfalls seine Freude.
Zunächst: Gehören „Dreck“ und „Abschaum“ nicht zum Grundwortschatz rechter Rassisten? Sollten jene (bzw. einige derjenigen), die in den aktuellen politischen Debatten als „links“ bezeichnet werden3, sich tatsächlich der Sprache hasserfüllter rechter Rassisten bedienen4 sollten wir uns dringend fragen, was dies bedeuten mag.
wird fortgesetzt
(1) Interview mit Thomas Glavinic, KURIER vom 1. Mai 2016
(2) Ebd.
(3) Wenn im Diskurs einer Gesellschaft all jene, die sagen, daß auch Flüchtlinge Menschen sind, denen Menschenrechte zukommen, als „links“ gelten – dann sagt dies mehr über die Verfassung dieser Gesellschaft aus, als über die Position jener „Linken“. In diesem, und nur in diesem, Sinne haben diejenigen recht, die behaupten, daß die – rechtsextreme – FPÖ in der Mitte „unserer“ Gesellschaft angekommen ist.
(4) Persönlich sind mir keine – vermeintliche oder tatsächliche - „Linke“ bekannt, die so reden. Ich will jedoch Glavinic Glauben schenken, und davon ausgehen, daß es tatsächlich „Linke“ gibt, die sich einer solchen, für Rechtsextreme charakteristischen Sprache bedienen. Wie repräsentativ dieses Phänomen sein mag, sei dahingestellt.
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