Dienstag, 3. Mai 2016

„Obama ist nicht schwarz“ – oder wie es kam, daß die Mormonen 2011 keine Terroristen wurden (7. und letzter Teil)

 

„Wenn das Ich“, schreibt Freud in Das Ich und das Es „die Züge des [verlorenen] Objekts annimmt [sich also mit dem Objekt identifiziert (Anm. von mir)], drängt es sich sozusagen selbst dem Es als Liebesobjekt auf, sucht ihm seinen Verlust zu ersetzen, indem es sagt: ‚Sieh, du kannst auch mich lieben, ich bin dem Objekt so ähnlich’. Die Umsetzung von Objektlibido in narzißtische Libido, die hier vor sich geht [also die Umsetzung von Liebe oder Hass einerseits in Selbstliebe und Selbstachtung andererseits (Anm. von mir)] bringt eine Desexualisierung mit sich, also eine Art Sublimierung [Hervorhebung von mir]“.


Folgen wir dieser Überlegung Freuds, gründet Sublimierung als Verzicht auf die unmittelbare Befriedigung von sexuellen oder auch aggressiven Triebzielen - auf Identifizierung. Identifizierung als Mechanismus der Verarbeitung von Objektverlusten. Mit anderen Worten: auf der Entschärfung von Liebe (oder auch von Hass) durch Verinnerlichung und Verwandlung in Selbstachtung.



Da sich aber nun Ehre, zumal „Ehre“ im Sinne jener „Herrlichkeit der Macht“ - im Unterschied zur Würde - nicht in Innerlichkeit aufzulösen vermag, gelingt es dem Islamisten nicht, den Verlust des Objektes „Ehre“ durch Identifizierung (mit dem frühen Islam) zu verarbeiten, die aggressiven Energien, die der Machtverlust des Islam freizusetzen vermag (siehe Khomeynis Rede), zu sublimieren.



Im Gegenteil: jene Identifizierung mit dem frühen Islam, auf der die Identität des Islamisten beruht, radikalisiert seinen Hass. Denn verglichen mit der (vermeintlichen) Herrlichkeit des frühen Islam, muß ihm das real existierende Elend islamisch geprägter Gesellschaften in der Gegenwart umso schändlicher erscheinen. Und je schändlicher ihm das Elend des „Islam“ erscheint, umso flammender sein Hass, umso rasender seine Wut. Identifizierung führt hier also nicht nur nicht zur Sublimierung - somit zur Zähmung - aggressiver Triebziele bei den Subjekten. Identifizierung gießt, im Gegenteil, Öl ins Feuer ihres Zorns.



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Unter bestimmten Umständen scheint jedoch die Identifizierung mit dem Objekt „Ehre“ sehr wohl geeignet zu sein, einer Sublimierung aggressiver Triebenergien den Weg zu bereiten, oder eine solche (Sublimierung) zumindest nicht zu behindern. Am 7. Juni 1844 erschien die erste - und zugleich letzte - Nummer der Zeitschrift Nauvoo Expositor. Nauvoo, eine Ortschaft im US-Bundestaat Illinois, war damals überwiegend von Mormonen bewohnt, die - aufgrund religiöser Verfolgungen - aus dem benachbarten Missouri ausgewandert waren. Der Nauvoo Expositor kritisierte Joseph Smith, den Propheten des Mormonentums, und einige seiner Lehren, insbesondere die Polygamie. Der von Mormonen dominierte Stadtrat von Nauvoo bezeichnete in einer Sitzung unter Vorsitz Smiths, der zugleich Nauvoos Stadtoberhaupt war, die Zeitung als „öffentliches Ärgernis“ - und beschloss die Zerstörung ihrer Druckerpresse. Der Beschluß wurde am

10. Juni vom obersten Polizisten der Stadt in Begleitung von hunderten Bürgern vollstreckt.



In weiterer Folge wurden Joseph Smith und andere Mitglieder des Stadtrats vom Gericht des Landkreises Hancock wegen Landfriedensbruchs angeklagt. Smith widersetzte sich zunächst der Verhaftung, rief am 18. Juni das Kriegsrecht aus und mobilisierte die 5000 Mann starke Nauvoo Legion, deren Oberbefehlshaber er war - lenkte aber schließlich ein. Er wurde verhaftet und nach Carthage, Illinois, gebracht, wo er im Gefängnis, in Erwartung seines Verfahrens, vom Mob gelyncht wurde.



2011 wurde am Broadway das Musical The Book of Mormon aufgeführt. Das von Trey Parker und Matt Stone, den Machern der Animationsserie South Park, geschrieben und komponiert wurde, und von zwei jungen Mormonen handelt, die ihren Missionsdienst in einem Dorf in Uganda ableisten müssen, wo die zu missionierenden Menschen, geplagt von AIDS, Armut und Warlords kein Interesse für die Inhalte des Buches Mormon, des Heiligen Buches der Mormonen, aufzubringen bereit sind.



The Book of Mormon, das Publikum und Kritik gleichermaßen begeisterte, ist eine beißende, streckenweise derbe Satire auf das Mormonentum, gegen die sich die Mohammed-Karikaturen fad und harmlos ausnehmen.



Es fällt nicht schwer, sich vorzustellen, daß der eine oder andere Mormone „die Ehre des Mormonentums“ durch The Book of Mormon verletzt, ja verloren sieht. Und bedenkt man, daß uns jene Art „handfester“ politischer und militärischer Herrschaft, mit der Islamisten sich identifizieren, auch in der Geschichte des Mormonentums begegnet, ist der Gedanke nicht fern, daß The Book of Mormon das Potential gehabt hätte, Hass und aggressive Energien freizusetzen - bis hin zu terroristischen Akten.



Daß dem nicht so war, mag nicht zuletzt auch damit zusammenhängen, daß die Identifizierung mit dem Objekt „Ehre“ - im Sinne jenes Glanzes der Herrschaft - im kollektiven Bewußtsein der Mormonen keine, oder eine weitaus geringere Rolle spielen dürfte, als im Bewußtsein von Subjekten, die mit dem „Islam“ identifiziert sind.



Schon deshalb nicht, weil die „Macht“ des frühen Mormonentums ungleich geringer war als die imperiale Macht des frühen Islam. Während der von Joseph Smith gegründeten Siedlung Nauvoo bestenfalls der Status einer autonomen Gemeinde zukam - Smith mußte sich der ja Jursidiktion des Bezirksgerichts Hancock unterwerfen, was ihm schließlich das Leben

kostete -, erstreckte sich das Herrschaftsgebiet des Islam beim Tode Mohammeds auf die gesamte arabische Halbinsel. Gute eineinhalb Jahrhunderte später war den Arabern die Errichtung eines islamisch beherrschten Weltreichs zwischen Spanien und Indien gelungen.



„Die Leute“, sagte Matt Stone, einer der Macher des Musicals, in einem Radio-Interview „‚fragten uns, ‚Habt Ihr keine Angst vor der Reaktion der Mormonen?’, Trey und ich meinten: ‚Die werden cool reagieren’. Und die Leute: ‚Werden sie nicht. Es wird Proteste geben’, und wir: ‚Nein. Die werden cool reagieren.’“



Als Reaktion auf das Musical The Book of Mormon schaltete die Kirche Jesu Christi der Heiligen der Letzten Tage folgende an das Publikum gerichtete Anzeige in den Programmheften der Theaterhäuser: „Sie haben das Stück gesehen, lesen Sie jetzt - das Buch.“



Ende

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