... ein politisch interessierter Zeitreisender aus den achtziger Jahren wäre mittels Zeitmaschine in die Gegenwart gelangt ... | Bildunterschrift hinzufügen |
In den ersten
beiden Teilen dieser Serie habe ich unter anderem zu zeigen versucht, dass
Floris Biskamps Kommentar1 zu meinem Essay „Warum wir über den Islam
nicht reden können“2 auf identitätspolitischen und kulturalistischen
Prämissen beruht – und dass er den „psychischen Innenraum“ und das „gesellschaftliche
Außen“ als zwei unvermittelt nebeneinander existierende Realitätsfelder
auffasst: Hier ein entgesellschaftlichtes Subjekt – dort
eine subjektlose Gesellschaft.
Im folgenden möchte
ich unter anderem zu zeigen versuchen, dass Biskamp jene Phänomene, die er
im Blick hat, wenn er von „antimuslimischem Rassismus“ spricht, zwar zu Recht rassistisch
nennt, dass er von dieser spezifischen Form des Rassismus aber keinen Begriff hat,
weil er die Frage, inwiefern es sich bei
den Positionen der neuen Rassisten „in Sachen Islam“ um Rassismus handelt – hier
jedenfalls – nicht stellt.
Ein
Gedankenexperiment
Beginnen wir
mit einem Gedankenexperiment. Die Behauptung, dass eine kritische, ablehnende –
oder auch feindselige – Haltung gegenüber einer Glaubenslehre oder gegenüber Anhängern
einer Glaubenslehre in irgendeiner Weise rassistisch
sein könnte – eine Behauptung,
die dem Begriff „antimuslimischer Rassismus“, den Biskamp verwendet, offenbar zugrunde
liegt – hätte noch in den achtziger Jahren des letzten Jahrhunderts für Irritation
und Verwunderung gesorgt. Nehmen wir an, ein politisch interessierter
Zeitreisender aus eben diesen achtziger Jahren wäre mittels Zeitmaschine in die
Gegenwart gelangt, wo er an einem Vortrag über „antimuslimischen Rassismus“ teilnehmen
und den Vortragenden bei der anschließenden Publikumsdiskussion fragen würde:
„Antimuslimischer
Rassismus? Warum? Der Islam ist doch
keine Rasse, sondern ein Glaubensbekenntnis.“
Woraufhin ihn der
Vortragende darauf hinweisen würde, dass „Rasse“ eine imaginäre Kategorie sei, ein Hirngespinst der Rassisten. Dieser
Hinweis würde bei unserem Zeitreisenden einen Nachdenkprozess auslösen, dem wir
nun folgen wollen. Zunächst würde er dem Vortragenden Recht geben. Dass es sich
bei der Kategorie „Rasse“ um ein Hirngespinst handelt, ist unserem aufgeklärten,
politisch interessierten Zeitreisenden natürlich bewusst. Er hätte allerdings Schwierigkeiten,
zwischen der Aussage
„Rasse ist ein
Hirngespinst der Rassisten“
und der Behauptung,
antimuslimische Haltungen könnten „rassistisch“ sein, einen Zusammenhang zu
erkennen. „Wofür“, würde er sich
fragen, „soll denn die richtige Aussage
‚Rasse ist ein
Hirngespinst der Rassisten’
bei der Diskussion
der Frage, ob es so etwas wie einen ‚antimuslimischen Rassismus’ geben kann, ein
Argument sein? Wenn wir von ‚Rasse’ als
Hirngespinst reden, meinen wir doch, dass die Kategorien, denen der Rassist ein bestimmtes Kollektiv zuordnet (‚die
weiße Rasse’, ‚die gelbe Rasse’ etc.) imaginär sind, da sie jeder
wissenschaftlichen Grundlage entbehren. Jene Kategorie, welcher die neuen
Rassisten das Kollektiv der Muslime zuordnen – der muslimische Glaube also –
ist hingegen real. Niemand würde
bestreiten, dass die muslimische Glaubenslehre, die muslimische Glaubenspraxis und
die muslimische Glaubensgemeinschaft tatsächlich existieren (die Inhalte dieser Glaubenslehre sind
allerdings – wie andere Glaubensvorstellungen auch – imaginärer Natur).
Oder soll die
Aussage ‚Rasse ist ein Hirngespinst von Rassisten’ den Begriff ‚antimuslimischer Rassismus’ rechtfertigen,
indem sie darauf hinweist, dass die Zuschreibungen
der Rassisten (dass ‚Neger’ arbeitsscheu, ‚Zigeuner’ Diebe, ‚Orientalen’
ausschweifend und grausam seien usw.) genauso falsch sind wie die Zuschreibungen
der neuen Rassisten an die Adresse der ‚Muslime’? Dass eine Aussage wie ‚Alle Muslime
sind Terroristen’ genauso falsch ist wie die Zuschreibung ‚Alle ‚Neger’ sind
arbeitsscheu?’“
„Dass es sich“,
mag unser Zeitreisender in seinen Gedanken fortfahren, „sowohl im Falle der Zuschreibungen
der Rassisten als auch im Falle von Vorurteilen gegenüber Muslime um falsche
Annahmen handelt, ist unbestritten. Der Vortragende wird doch aber nicht der
Ansicht sein, jegliches Hirngespinst sei
rassistisch. Also etwa auch die Vorstellung ‚Die Erde ist eine Scheibe’ oder ‚Erdbeben
sind eine Strafe Gottes’ usw. Er würde wohl auch nicht behaupten, jede kollektive Zuschreibung und jedes
Vorurteil sei rassistisch. Also auch Aussagen wie ‚Alle Radfahrer sind Idioten’
(aus dem Mund eines genervten Autofahrers), ‚Alle Lehrer sind Sadisten’, ‚Alle Studierende
sind faul’ etc.
Hinzu kommt,
dass Rassisten, wenn sie von den Objekten ihres Ressentiments reden,
biologische und genetische Kategorien im Blick haben – wenn auch auf falsche und
wahnhafte Weise. Das unterscheidet sie grundlegend von Subjekten, die
antimuslimische Positionen einnehmen, sprich einer Glaubenslehre gegenüber eine kritische bis ablehnende – oder
den Anhängern dieser Glaubenslehre gegenüber eine feindselige – Haltung
einnehmen. Zum Muslim wird jemand doch nur dann, wenn sie oder er sich freiwillig zum muslimischen Glauben bekennt.
Das unterscheidet die Kategorie ‚Glaubensbekenntnis’ grundlegend von der – wahnhaften
und imaginären – Kategorie ‚Rasse’, zu der man sich nicht bekennen kann, in die
man, aus der Sicht des Rassisten, vielmehr hineingeboren wird.“
An dieser
Stelle wollen wir unseren
Zeitreisenden mit seinen Gedanken allein lassen – nicht allerdings ohne seinen
letzten Gedankengang zu korrigieren: Es gibt sehr wohl einen Diskurs, der nicht auf biologischen oder genetischen Prämissen
gründet, den wir aber dennoch als rassistisch bezeichnet sollten – ohne dabei den
Rassismusbegriff in beliebiger Weise zu erweitern. Etwa auch auf Vorurteile gegen
bestimmte Professionen (Lehrer, Studenten etc.) oder Konfessionen (Muslime,
Mormonen etc.). Gemeint ist der neue
Rassismus, der – im Unterschied zum traditionellen – nicht mehr auf biologische
oder genetische Kategorien gründet, sondern auf der Rede von Kultur: „Unsere Kultur“ im Unterschied und
im Gegensatz zu „fremden Kulturen“, die „abendländische“ im Gegensatz zur
„islamischen Kultur“ usw.
Allerdings unterscheidet
sich die Verwendung des Kulturbegriffs im Diskurs der neuen Rassisten von dessen
herkömmlicher Verwendung in radikaler Weise. Hatte etwa Freud in seinen
kulturkritischen Schriften den Begriff „Kultur“ stets als Gegenbegriff zu „Natur“ verwendet, wird dieses einstmals gängige Konzept von
„Kultur“ in heutigen rassistisch-kulturalistischen Diskursen
auf den Kopf gestellt: Heute reden die neuen Rassisten – und nicht
nur diese3 – über „Kultur“ so, als redeten sie über Natur. Fassen sie
doch „Kulturen“ als unabänderlich, verdinglicht und in
fixer Verknüpfung mit bestimmten Kollektiven oder Individuen auf.4 Und genau diese „naturalisierende“, quasi-biologische
Dimension des neuen kulturalistischen Diskurses gibt uns das Recht, diesen als
rassistisch zu bezeichnen. Eine Dimension, die wir in Vorurteilen gegen Lehrer,
Studenten, Mormonen etc. oder gar in Hirngespinsten wie der Vorstellung, die
Erde sei eine Scheibe, vergeblich suchen würden.
Verwechslungsgefahr
Die kulturalistische
Vorstellung, der Islam sei eine Art Natureigenschaft von Individuen oder
Kollektiven ist nun genauso imaginär und genauso falsch wie die Kategorie
„Rasse“ in der Gedankenwelt der traditionellen Rassisten. Sollte die Aussage des
Vortragenden
„Rasse ist ein
Hirngespinst der Rassisten“
unseren Zeitreisenden
auf genau diesen Zusammenhang hinweisen wollen? Meinte er, dass die Kritiker
des neuen Rassismus, wenn sie vom „antimuslimischen Rassismus“ reden, nicht auf
die real existierende muslimische
Glaubenslehre respektive Glaubenspraxis und auch nicht auf die real
existierende muslemische Glaubensgemeinschaft Bezug nehmen wollen, sondern auf
das imaginäre kulturalistische Konstrukt
der neuen Rassisten „Islam als Natureigenschaft“? So wie Kritiker des traditionellen Rassismus in ihrer Kritik
desselben den Begriff „Rasse“ nicht zur
Bezeichnung einer real existierenden sondern einer imaginären Kategorie verwenden?
Der
Vortragende in unserem Gedankenexperiment würde also mit der Aussage
„Rasse ist ein
Hirngespinst der Rassisten“
als Reaktion auf
die Frage
„Warum
sprechen Sie von ‚antimuslimischem Rassismus’?
Der Islam ist doch keine Rasse.“
unseren
Zeitreisenden vielleicht darauf hinweisen wollen, dass das Wortteil
„muslimisch“ im Begriff „antimuslimischer Rassismus“ auf eine imaginäre
Kategorie in den Köpfen der neuen Rassisten („der Islam als quasi-biologische
Eigenschaft“) Bezug nehmen würde. Genauso wie das Wortteil „Rasse“ im Begriff
„Rassismus“ auf eine imaginäre Kategorie in den Köpfen der traditionellen
Rassisten.
In diesem Fall
wären wir allerdings mit einem gravierenden Problem konfrontiert. Auch wenn wir
annehmen möchten, dass der fiktive Vortragende, und mit ihm viele real
existierende Linke und Liberale, wenn sie „antimuslimischer Rassismus“ sagen, an
ein imaginäres Konstrukt in den Köpfen der Rassisten denken, werden die Begriffe
„muslimisch“ und „Islam“ im allgemeinen Sprachgebrauch stets auf die real existierende muslimische
Glaubenslehre und Glaubenspraxis sowie auf die real existierende muslimische
Glaubensgemeinschaft bezogen. Weshalb Begriffe wie „antimuslimischer Rassismus“
oder „Islamophobie“ unweigerlich die Vorstellung wachrufen, kritische oder ablehnende
Positionen gegenüber der real existierenden muslimischen Glaubenslehre bzw. Glaubenspraxis
(oder religiöser Hass gegen real existierende Muslime) könnten in einem – wie
immer gearteten – Zusammenhang mit „Rassismus“ stehen. Und nicht: Dass mit dem
Wortteil „muslimisch“ in „antimuslimischer Rassismus“ das imaginäre Konstrukt „Islam
als Natureigenschaft“ in den Köpfen der neuen Rassisten gemeint sein
könnte. Auch Biskamp verwendet ja in seinem Kommentar das Attribut „muslimisch“
durchwegs zur Bezeichnung der real existierenden Glaubensgemeinschaft der
Muslime.
Vom antimuslimischen,
menschenrechtlichen und feministischen
Rassismus
„Einen
kulturell artikulierten Rassismus“, schreibt Biskamp, „gibt es heute gegen Musliminnen3,
die dabei als Musliminnen
rassifiziert und diskriminiert werden. Dieser Rassismus ist als soziales
Phänomen zu beschreiben und zu kritisieren.“
Wenn Biskamp
hier in Zusammenhang mit dem Begriff „kulturell artikulierter Rassismus“ von „Rassifizieren“
spricht – und wenn er zuvor schreibt:
„die rassifizierte
Gruppe kann also sowohl als biologische als auch als kulturelle oder religiöse Einheit definiert werden [Hervorhebung von mir]“
scheint seine Rede
von der „kulturell artikulierten Rassifizierung
einer religiösen Einheit“ dem oben beschriebenen Gedanken, dass wir mit einem (hier
„Rassifizierung“ genannten) Konstruktionsprozess
zu tun haben, bei dem die real existierende Religionsgemeinschaft der Muslime („religiöse
Einheit“) dem Diskurs der neuen Rassisten als „Rohmaterial“ für das Konstrukt „Islam
als Natureigenschaft“ dient, allerdings recht nahe zu kommen. Aber: Das Fehlen
der hier gebotenen „Anstrengung des Begriffs“, bürdet Biskamps Lesern eine schwere
hermeneutische Last auf: Sie müssen den Eindruck gewinnen, kritische,
ablehnende oder feindselige Aussagen über die muslimische Glaubenslehre,
Glaubenspraxis oder Glaubensgemeinschaft könnten in irgendeiner Weise „rassistisch“
sein. Zumal Biskamp genau dieser Position auch in der folgenden Stelle das Wort
redet:
„Indem Maani [...]
der Kritik des antimuslimischen Rassismus vorwirft, diese zu reproduzieren
[...] delegitimiert er jede Rassismuskritik, die den Rassismus als das
bezeichnet, als was er sich artikuliert: nämlich als antimuslimisch“
Hier erschöpft
sich „Rassismuskritik“ also in der bloßen Wiedergabe der Positionen der
Rassisten – darin, den Rassismus als das zu bezeichnen, „als was er sich
artikuliert“. Mit anderen Worten: In seiner
Reproduktion. Versuchen wir nun der Logik solcher „Rassismuskritik“ eine
Strecke lang zu folgen: Traditionelle wie neue Rassisten führen bekanntlich alle
möglichen Aussagen und Argumente ins Feld – wahre, halbwahre und falsche –, um
daraus ihre rassistischen Schlüsse zu ziehen. So haben Neorassisten in den
letzten Jahren immer wieder auch feministische Positionen in Stellung gebracht.
Man denke etwa an den von der FPÖ plakatierten Slogan „Freie Frauen statt
Kopftuchzwang“. Müsste denn eine „Rassismuskritik“, die ihre Aufgabe
darin sieht, den Rassismus als das zu bezeichnen, „als was er sich
artikuliert“, in diesen Fällen vom „feministischen Rassismus“ sprechen?
Oder: Claudia
Bandion-Ortner, damals Generalsekretärin des saudi-arabischen „König
Abdullah-Dialog-Zentrums“ in Wien und zuvor österreichische Justizministerin, wurde
im Oktober 2014 vom Nachrichtenmagazin profil
auf die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien angesprochen – auch darauf,
dass dort an Freitagen öffentlich ausgepeitscht und geköpft werde. Woraufhin
sei meinte: „Nicht jeden Freitag wird geköpft“.4 Im Zuge der
Kontroversen, die diese Äußerung auslöste, war ich in sozialen Medien und in
privaten Gesprächen wiederholt mit Aussagen konfrontiert, in denen sich die Sprecher
über die Menschenrechtssituation in Saudi-Arabien entsetzt und mit deren Opfern
solidarisch zeigten – nicht ohne im gleichen Atemzug hinzuzufügen, von „den
Arabern“ könne man halt nichts anderes erwarten und ähnliches mehr. Müsste
„Rassismuskritik“, die Rassismus „als das bezeichnet, als was er sich
artikuliert“ den Rassismus, der hier zum Ausdruck kommt, einen
„menschenrechtlichen“ nennen?
Für die
absurden Konsequenzen einer solchen Auffassung von Rassismuskritik ließen sich zahlreiche
weitere Beispiele anführen. Kaum eine Thematik, an der sich Rassismus nicht
anlehnen, kaum ein Argument, das nicht in rassistische Diskurse eingefügt worden
wäre.
Biskamp selbst
scheint sich dieses Zusammenhanges durchaus bewusst zu sein. Er schreibt:
„Nehmen wir
etwa die Aussage „Der Islam ist eine patriarchalische Religion!“ Ist dieser Satz
wahr? Ich würde ihn jedenfalls nicht bestreiten [...] Ist er rassistisch? Um
das zu sagen, müssen wir fragen, wer diesen Satz in welchem Kontext äußert.
Wenn ein 14jähriges Mädchen mit den Eltern darum ringt, abends ausgehen zu
dürfen, die Eltern den Islam als Argument für ein Verbot heranziehen und das
Mädchen dann sagt, dass der Islam eine patriarchalische Religion ist, wüsste
ich nicht, wie das zur sozialen Stigmatisierung und Marginalisierung von
Musliminnen beitrüge. Wenn dagegen Michael Stürzenberger in einer Rede bei
einer PEGIDA-Demonstration denselben Satz formulierte, wäre der Fall anders
gelagert. Der Satz wäre genauso wahr oder unwahr wie im ersten Fall, allerdings
wäre der Effekt ein ganz anderer. Er bestünde wohl in erster Linie darin, den
Islam als illiberal und rückständig zu markieren – und damit die
Stigmatisierung und Marginalisierung von Musliminnen voranzutreiben.“
Auf den ersten
Blick scheint sich hier eine Selbstverständlichkeit zu artikulieren: Die eben
erwähnte Tatsache, dass Rassisten, um ihren rassistischen Diskurs zu
untermauern, alle möglichen Argumente und Aussagen ins Feld führen, feministische,
menschenrechtliche ... und eben auch religionskritische. Bei genauerer Betrachtung,
geht es hier aber um mehr als um den harmlosen Hinweis auf den Umstand, dass
Aussagen über den Islam in einem rassistischen Kontext stehen können: „Ist
[die Aussage ‚Der Islam ist eine patriarchalische Religion!’] rassistisch? Um
das zu sagen, müssen wir fragen, wer diesen Satz in welchem Kontext äußert.
[Hervorhebung von mir].“ Der Autor dieser Sätze geht offensichtlich von der
seltsamen Annahme aus, Aussagesätze als
solche könnten je nachdem von wem und in welchem Zusammenhang sie verwendet
werden – auf gleichsam magische Weise – ihren Charakter und ihre Bedeutung verändern.
Hinzu kommt: Marginalisierung
und Stigmatisierung sind selbstverständlich nicht spezifisch für den Rassismus.
Sie können ebenso klassenspezifischen oder geschlechtsspezifischen Charakter
haben, psychiatrische Patienten, sexuelle oder religiöse Minderheiten betreffen
etc. In keinem dieser Fälle lässt sich sinnvollerweise von Rassismus sprechen. Um
es noch einmal zu betonen: Der Diskurs der FPÖ- und PEGIDA-Rassisten über „den
Islam“ ist tatsächlich rassistisch. Aber:
Die Berechtigung diesen Diskurs als rassistisch
zu bezeichnen, lässt sich nicht aus der Tatsache ableiten, dass Muslime als Muslime stigmatisiert und
marginalisiert werden. Ginge es hier „bloß“ um die Marginalisierung und
Stigmatisierung von Muslimen als Muslime, hätten wir es – um eine weitere Selbstverständlichkeit
zu artikulieren – mit religiöser
Diskriminierung zu tun und gerade
nicht mit rassistischer.
Das magische
Denken, dass uns in der Annahme begegnet, eine Aussage als solche könnte je nach Kontext ihren Charakter und ihre
Bedeutung verändern, sowie die unspezifische Gleichsetzung von Marginalisierung
und Stigmatisierung mit Rassismus stehen in engem Zusammenhang mit Biskamps Weigerung,
sich auf eine begriffliche Auseinandersetzung mit dem neuen Rassismus auch nur
im Ansatz einzulassen. Ein Manko, das er mit dem Verweis auf „rassistische
Effekte“ und den „sozialen Kontext“ des Rassismus zu beheben versucht:
„Wie ist aber
stattdessen zu entscheiden, welche Formen des Sprechens als
antimuslimisch-rassistisch abzulehnen oder als wünschenswerte Kritik zu
begrüßen sind? Hierfür ist nach den zu erwartenden Effekten der jeweiligen Sprechakte zu fragen: Sind diese eher dazu
geeignet, die Stigmatisierung und Marginalisierung von Musliminnen zu
reproduzieren und zu verstärken? Oder sind sie eher dazu geeignet, auf reale
Missstände hinzuweisen und diese (zusammen mit Musliminnen) zu überwinden?
Beide Effekte schließen einander nicht aus, aber es kann durchaus einer der
Effekte stark überwiegen. In welchem Maße das der Fall ist, hängt durchaus
davon ab, ob die Aussage den propositionalen Wahrheitskriterien entspricht. Es hängt
aber nicht minder stark vom sozialen
Kontext, in dem die Aussage getroffen wird, sowie von der sozialen
Positioniertheit der Person, die die Aussage trifft, ab [Hervorhebungen von
mir].“
Und weiter:
„Ging es nicht
damals ebenso wie heute in
Wirklichkeit um rassistische Subjekte, die [..] die eigenen Privilegien
rationalisieren und verteidigen, indem sie weniger privilegierte Andere als
gefährlich darstellen?“
Dass die bloße
Tatsache, dass ein bestimmtes
Sprechen über den „Islam“ oder über „Muslime“ marginalisierende und
stigmatisierende Effekte auf Muslime als Muslime zeitigen kann, uns keineswegs berechtigt,
dieses Sprechen als rassistisch zu bezeichnen, und dass wir in diesen Fällen ohne zusätzliche begriffliche Spezifizierung
von religiöser Diskriminierung oder von religiösem Hass sprechen müssten, wurde
erwähnt.
Zudem greift
die Vorstellung, Rassismus stünde stets im Interesse privilegierter Schichten,
entschieden zu kurz. Wie der linke afroamerikanische Theoretiker Adolph L. Reed
in seinem lesenswerten Artikel „Black Particularity Reconsidered“ nachweist, lag
es in den 1960er Jahren im Interesse großer Teile der privilegierten Eliten in
den USA, die Rassentrennung in den Südstaaten zu bekämpfen, also antirassistisch
zu
agieren, da die
Rassentrennung die kapitalistische Expansion in den Süden massiv behinderte.
„The
caste-like organization of southern society seriously inhibited the development
of a rational labor supply [...] As a pariah caste, blacks could not adequately
become an industrial reserve army since they were kept out of certain jobs.
Consequently, in periods of rapid expansion the suppressed black labor pool
could not be fully used.“7
Und der
Gemeinplatz, „dass das Kapital nicht rassistisch ist“, dass Arbeitsmigration im
Interesse privilegierter wirtschaftlicher Eliten liegt, bewahrheitete sich zuletzt
wieder nach dem Antritt der neuen rechtsgerichteten – und
unternehmerfreundlichen – österreichischen ÖVP/FPÖ-Regierung:
Sie erhöhte die Zuwandererquote und
wurde dafür seitens der Sozialdemokraten, im
Namen der unterprivilegierten Lohnabhängigen, scharf kritisiert.
Was jedoch mehr
ins Gewicht fällt: Weil hier die inhaltliche Auseinandersetzung und die Arbeit
am Begriff nicht stattfindet, wird die Frage, ob es sich – und inwiefern es sich – beim Reden der neuen
Rassisten über den „Islam“ um Rassismus handelt, durch den Hinweis auf den
„sozialen Kontext“ und die „soziale Positioniertheit, der Person, welche die
Aussage trifft“, nicht einmal berührt: Würden wir bei der Analyse eines bestimmten
sozialen Kontextes – zum Beispiel einer Veranstaltung der AfD – diese „auf
stumm schalten“, die Aussagen, die dort getätigt werden, also ausblenden, wäre es
uns nicht möglich zu erkennen, ob es sich um einen rassistischen oder
antirassistischen Kontext handelt – oder um einen Bürgerprotest gegen Feinstaub8.
Die Frage, ob ein sozialer Kontext rassistisch ist oder nicht, kann, anders
gesagt, ausschließlich anhand anderer in
diesem Kontext getätigter Aussagen beantwortet werden. Weder der Verweis auf
den „sozialen Kontext“ noch die Flucht in die Kategorie „Effekte“ können das grundlegende
Manko des Fehlens eines Begriffs vom
neuen Rassismus beheben.
Um also zu
erkennen, ob die Aussage „Der Islam ist patriarchalisch“ in einem rassistischen Kontext eingebettet ist oder nicht (für
sich betrachtet kann diese Aussage selbstverständlich nicht rassistisch sein), sind
wir auf die Kenntnis weiterer Aussagen jener Personen angewiesen, die
diesen Satz in den Mund nehmen. Rassistisch
wäre jener Kontext dann und nur dann, wenn sich jene weiteren (ablehnenden,
kritischen oder feindseligen) Aussagen über Muslime entweder an den traditionellen rassistischen Diskurs anlehnen
(der Islam als Religion „fremder Rassen und Völker“, etwa der Türken oder der Araber). Oder wenn sich die Begriffe
„Islam“ oder „muslimisch“ – wie beim neuen
Rassismus der Fall – nicht bloß auf die real existierende muslimische Glaubenslehre
und Glaubenspraxis beziehen respektive auf die real existierende muslimische Glaubensgemeinschaft,
sondern dem Islam zugleich einen speziellen „Platz“ zuweisen, ihn im Sinne
jener kulturalistischen Konstruktion als „Natureigenschaft“ auffassen.
Um einem
weiteren Missverständnis entgegenzuwirken: Das kulturalistische Konstrukt
„Islam als Natureigenschaft“ – die Auffassung des Islam als „Kultur“ und der
„Kultur“ als „Natur“ – ist selbstverständlich nicht „irgendwo im Hinterkopf“ einzelner
neorassistischer Subjekte nachweisbar. Sondern in der Logik des neorassistischen Diskurses, dessen Grundvoraussetzung es bildet.
Wie im Übrigen die Voraussetzung nahezu aller gegenwärtigen europäischen Islam-Diskurse
(siehe auch den ersten Teil dieser Replik).
Was heißt volle Identifizierung?
„Islam als
Natureigenschaft“, genauer: der Vorgang der Zuschreibung des Islam als
Natureigenschaft, ist ein anderer Name für den Vorgang der vollen Identifizierung.
Wie schon gesagt: Wer vermeintliche oder tatsächliche
Muslime voll mit dem Islam identifiziert, geht unausgesprochen davon aus, dass
Menschen mit ihrer Religion „vollkommen eins“ sind. Dass der Islam nicht bloß
ein Glaubensbekenntnis darstellt, sondern das „Sein“ – oder, anders gesagt, die
„Natur“ dieser Menschen ausmacht.
Womit wir bei einem weiteren aufzuklärenden Missverständnis in Biskamps
Kommentar angelangt wären.
Volle
Identifizierung meint nicht bloß – nicht einmal in erster Linie – dass
Nicht-Muslime aus islamisch geprägten Ländern fälschlicherweise als Muslime
identifiziert werden. Volle Identifizierung findet auch und gerade dort statt,
wo Subjekte, die sich tatsächlich zum
Islam bekennen, voll mit dem Islam bzw. mit „ihrem Muslimsein“ identifiziert werden.
Dass die Tatsache, dass sie sich zum Islam bekennen, als unabänderliche, quasi-genetische,
„kulturelle“ Eigenschaft imaginiert wird – und „Kultur“ heißt auf
„Kulturalistisch“ ja paradoxerweise „Natur“. Das gilt im übrigen nicht bloß für
„Durchschnittsmuslime“, sondern auch für Subjekte, die sich selbst „voll mit
dem Islam identifizieren“, für sogenannte islamische Fundamentalisten also, bei denen das voll identifizierende
rassistische Subjekt so tut, als wären sie auch objektiv „mit dem Islam
identisch“. Als würde ihr „Sein“ und ihre Lebensrealität tatsächlich einzig vom
Faktor Religion bestimmt (nicht etwa auch von Faktoren wie soziale Schicht,
Bildung, Geschlecht, sexuelle Orientierung etc.).
Vom absurden Umgang mit der Absurdität
– und der „Moral der Anstrengung“
Biskamps Weigerung,
sich der begrifflichen Auseinandersetzung mit dem Diskurs des neuen Rassismus
zu stellen, fällt auch in der folgenden Passage auf:
„Obwohl der
Rassismus auf der diskursiven Ebene antimuslimisch artikuliert ist und in
weiten Teilen in einem Sprechen über ‚den Islam’ und ‚die muslimische Kultur’
besteht, kann er in der konkreten diskriminierenden Praxis durchaus an Haut-
oder Augenfarbe als Stigma anknüpfen. Das ist zwar paradox und absurd, aber die
Schuld daran trägt nicht die Rassismuskritik, sondern der Rassismus. Rassismus
ist in aller Regel nicht rational-kohärent, die Rassismuskritik muss ihn in
seiner Inkohärenz kritisieren – wenngleich sein Problem weniger in seiner
Inkohärenz als in seiner Effektivität besteht“
Rassismus ist
freilich inkohärent und absurd. Kritisches Denken aber, das diesen Namen
verdient, sollte auf Inkohärenz und Absurdität nicht seinerseits mit Absurdität
und Inkohärenz reagieren. Sondern mit dem Versuch, Rassismus, seine Ursachen
und seine realen Auswirkungen auf den Begriff zu bringen – jene Hegelsche
„Anstrengung des Begriffs“ zu wagen, die „starre Begriffsschemata zu sprengen“ versucht,
um „auf die konkrete Gestalt“ der Sachen „durchzustoßen“9. Dass
diese Anstrengung immer wieder scheitern kann, versteht sich von selbst, ändert
aber nichts an ihrer Unabdingbarkeit.
Wer sich auf diese
Anstrengung nicht einlassen mag, wer es
verabsäumt, sich zu fragen, welche Phänomene er in welcher Hinsicht als rassistisch bezeichnet, riskiert nicht bloß,
den absurden Diskurs der neuen Rassisten zu reproduzieren. Er läuft auch Gefahr,
jene Voraussetzungen seines eigenen Denkens, die er mit ihnen teilt, zu
verkennen. Um hartnäckig an
absurden und inkohärenten Begriffen wie „antimuslimischer Rassismus“
festzuhalten, ohne sich über deren Absurdität und seine Hartnäckigkeit auch nur
eine Sekunde zu wundern.
Da ihm die
Absurdität und Inkohärenz eines Begriffs wie „antimuslimischer Rassismus“ nicht
erklärungsbedürftig erscheint, setzt Biskamp die Berechtigung diesen zu
verwenden – statt diese argumentativ nachzuweisen – einfach voraus. Als stünde es
außer Streit, dass einem begrifflichen Konstrukt wie „antimuslimischer
Rassismus“ klar umrissene, real existierende Phänomene entsprechen. Mehr noch:
Nicht der absurde, dem Begriff „antimuslimischer Rassismus“ zugrunde liegende
Gedanke, dass Kritik an einer oder die Ablehnung einer Glaubenslehre in
irgendeinem Zusammenhang mit Rassismus stehen könnte, scheint ihm erklärungsbedürftig.
Erklärungsbedürftig, ja suspekt („Misstraut euch!“) erscheint ihm in einer Art
Beweislastumkehr das Benennen der
Inkohärenz und Absurdität solcher Begriffe. Der Versuch, ihre Genese auf
weniger absurde und inkohärente Weise nachzuzeichnen – sie, anders gesagt, zu
dekonstruieren.
Was die möglichen Hintergründe solch absurden Umgangs mit
der Absurdität betrifft, war in den ersten beiden Teilen dieser Serie vom Zusammenhang
zwischen Begriffen wie „antimuslimischer Rassismus“ und jenen
identitätspolitischen Prämissen die Rede, die den linken Diskurs seit Jahren dominieren, und denen offenbar
auch Biskamps Kommentar verpflichtet ist.
Hinzu kommt, dass sich hier moralische Sorgen in seltsamer Weise im Rassismus-Begriff
zu verdichten scheinen:
„Indem Maani
die volle Identifikation zu einem entscheidenden Kriterium macht und der Kritik
des antimuslimischen Rassismus vorwirft, diese zu reproduzieren, verleitet er
also in zweierlei Hinsicht zu einer falschen Praxis: Erstens delegitimiert er
damit jede Rassismuskritik, die den Rassismus als das bezeichnet, als was er
sich artikuliert: nämlich als antimuslimisch; zweitens legitimiert er implizit jede
„Islamkritik“, die nicht voll identifiziert – und dies nicht zu tun, kostet
nicht viel.“
Es lohnt sich,
auf die Wendung „dies nicht
zu tun, kostet nicht viel“ kurz einzugehen.
Sie verweist, ähnlich wie die Rede von meinen Texten als „bequemes“, „verlockendes Angebot“ „für linke und liberale ‚Islamkritik’“,
das dazu verführen soll, „guten Gewissens“
einer „dringend notwendigen Reflexion“ auszuweichen, auf eine „Moral der Anstrengung“. Und erinnert
an asketisch-narzisstische Ideale jener an die Tugend der politischen
Korrektheit glaubenden Zeitgenossen – und
ihrem Bemühen, die Achtung ihres Über-Ichs zu gewinnen10. „Islamkritik“ erscheint hier als
lustvolle, wenn auch moralisch anrüchige Betätigung und meine Texte als
Verführung zur Sünde.
Als lustvoll und anrüchig zugleich erscheint Biskamp –
respektive seinem Über-Ich – auch jenes „köstliche“ Vergnügen, dass ich bei der
Auseinandersetzung mit der Formel „Den
Islam gibt es nicht“ empfunden haben soll. Ein Vorwurf, der so schwer wiegt,
dass die argumentative Auseinandersetzung mit den Thesen, die jenes Amusement bei mir ausgelöst haben sollen, überflüssig
erscheint. Etwa mit der These, dass die selektive Anwendungspraxis des Satzes
„Den Islam gibt es nicht!“ ihn als
Abwehrformel ausweist, die nur dann in Stellung gebracht wird, wenn es gilt, „negatives
Reden“ über den Islam zu unterbinden – niemals, wenn von „positiven Aspekten“
des Islam die Rede ist.
Auch das generalisierte Misstrauen („Ich traue mir selbst nicht über den Weg,
ich traue Sama Maani nicht über den Weg und ich traue sonst niemandem in diesem
Raum über den Weg“ usw.) das seinen Kommentar durchzieht, trägt
deutlich die Handschrift des Über-Ichs, mahnt beim Reden über den Islam zu
peinlichster Vorsicht, um in der Empfehlung zu gipfeln, im Zweifel über den Islam ganz
zu schweigen.
wird
fortgesetzt
1 Floris
Biskamp, Misstraut Euch! Warum Sama Maani es der
linken „Islamkritik“ zu einfach macht.
2 Sama
Maani, Warum wir über den Islam nicht
reden können. In: ders., Respektverweigerung: Warum wir fremde Kulturen
nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht, Klagenfurt 2015, S. 7
3
Kulturalistische Position scheinen heute die gesamten gesellschaftlichen,
politischen und kulturellen Diskurse zu dominieren. Vgl. dazu Sama Maani, Respektverweigerung. Warum wir fremde
Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht, Klagenfurt
2015, S. 37 ff
4 Dass
die Vorstellung von der Unabänderlichkeit der „Natur“ nicht erst seit dem
Siegeszug der Biotechnologie ihrerseits eine falsche ist, steht auf einem
anderen Blatt.
5
Mit „Musliminnen“ sind
Musliminnen und Muslime gemeint.
8 Man mag hier einwenden: Noch in den
1990er Jahren waren doch Neonazis auch an Glatzköpfen und Springerstiefeln –
also sozusagen auch „stumm“ – zu erkennen. Visuelle politische Symbole solcher
Art funktionieren aber nur, indem sie „an Sprache andocken“. Anders gesagt,
gibt es im Kopf des Betrachters eine fixe Verknüpfung zwischen Symbolen wie
„Springerstiefel“ und Aussagen wie „Das ist ein typisches Erkennungszeichen für
Neonazis.“
9 Nicolai Hartmann, Die Philosophie des deutschen Idealismus, Berlin 1960, S. 245
10 Vgl. dazu
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