Donnerstag, 5. April 2018

Der Rassismus der Antirassisten (Kommentar im FALTER)


Adorno: Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als bedrohlicher als ...

„Es ist nicht zu übersehen“, sagt Arik Brauer im Interview mit dem FALTER vom 21. März 2018, „dass seit dem Jahre 1948, als die arabischen Staaten Krieg gegen den soeben gegründeten Staat Israel führten, die Einstellung der islamischen Welt zum Judentum von Hass geprägt ist. Vorher war das anders. Da haben die Juden in den arabischen Ländern [...] in Frieden gelebt.“

Brauer irrt. Nicht was die Einstellung – mancher – Angehöriger islamisch geprägter Gesellschaften zum Judentum betrifft. Sondern im allzu harmonischen Bild, das er vom Zusammenleben von Juden und Muslimen vor der Gründung Israels zeichnet. Anders als das traditionelle Christentum bezichtigt der Islam die Juden zwar nicht des Gottesmordes. Die Position traditioneller islamischer Gesellschaften gegenüber Juden kann  aber am ehesten als eine der Verachtung bezeichnet werden. Das bezeugen verschiedene, von Region zu Region und Periode zu Periode variierende Einschränkungen, Erniedrigungen und Bekleidungsregeln. Schon 717, Jahrhunderte vor der Einführung von Judenzeichen in Europa, hatte der Umayyaden-Kalif Omar II Bekleidungsvorschriften für seine jüdischen Untertanen erlassen.

Verachtung kann aber, immer dann, wenn dessen Objekt sich nicht mehr als schwach und unterlegen zeigt, sondern als stark, in – einen mitunter mörderischen – Hass umschlagen. So geschehen etwa 1066 in Granada, als Joseph ibn-Naghrela, jüdischer Minister des damaligen muslimischen Herrschers zusammen mit 4000 anderen Juden massakriert wurde. So geschehen auch im 20. und 21. Jahrhundert im Falle Israels. Jene in Hass verwandelte Verachtung von Juden, der manche – wenn auch selbstverständlich nicht alle – Angehörige von Gesellschaften mit islamischer Bevölkerungsmehrheit prägt, ist, so gesehen, nicht die Folge des Nahostkonflikts – sondern einer seiner Gründe.

Voraussetzung für die Überwindung religiösen Hasses wäre aber nicht ein interreligiöser Dialog zwischen „Judentum“ und „Islam“ – sondern die Emanzipation islamisch geprägter Gesellschaften von Religion. Und genau diese Emanzipation trauen wir Gesellschaften mit islamischer Bevölkerungsmehrheit nicht mehr zu, seit wir – und das ist ein durchaus neues Phänomen – Menschen aus Ländern wie der Türkei oder aus dem arabischen Raum in allererster Linie als Muslime wahrnehmen, mehr noch: als Repräsentanten des Islam. Seit wir also islamisch geprägte Gesellschaften „voll“ mit dem Islam identifizieren, so als gäbe es dort nichts außerhalb der Sphäre des Islam.

Noch in den 1990er Jahren behaupteten die Rassisten, die Türken würden „uns“ Probleme bereiten, weil sie eben Türken seien. Seit dem Erstarken des sogenannten politischen Islam behaupten die Vertreter des neuen Rassismus, die Türken (die Araber, die Nordafrikaner) würden „uns“ Probleme bereiten – weil sie Muslime seien. Der Islam gilt diesem Diskurs nicht mehr als Glaubensbekenntnis, zu dem sich jemand bekennen mag oder auch nicht, sondern als eine Art „Natureigenschaft“ von Türken, Arabern oder Iranern.

Seltsamerweise bleiben aber auch die linken und liberalen Gegner des neuen Rassismus, statt die fixe Verknüpfung zwischen einem Glaubensbekenntnis und bestimmten Gesellschaften oder Individuen zu dekonstruieren, bei den Identitätsvorgaben der Rassisten: Wer nicht müde wird, „Islamophobie“ als rassistisch zu bezeichnen, erklärt den Islam, ohne es zu bemerken, zu einer „rassischen“, quasi genetischen Eigenschaft von Arabern, Türken oder Iranern. Auf eben dieser Ideologie der vollen Identifizierung von Individuen mit dem Islam scheinen – zumindest tendentiell – auch die Aussagen Arik Brauers zu beruhen.

Über die religiös gefärbte Judenfeindschaft hinaus blieben moderne islamisch geprägte Gesellschaften aber – genauso wenig wie moderne westliche Gesellschaften – vom modernen Antisemitismus verschont, der nicht bloß ein „Vorurteil gegen Juden“ darstellt, sondern – wie Moishe Postone gezeigt hat – eine umfassende Weltanschauung, in der sich verschiedene Aspekte des Unbehagens am modernen Kapitalismus bündeln und „erklärt“ werden.

In Europa gilt der Antisemitismus als Markenzeichen rechter und rechtsextremer Parteien – auch wenn diese selbstverständlich kein Monopol darauf haben. Das scheint sich nun – partiell – zu ändern. So ist etwa die FPÖ seit Jahren bemüht, sich vom Antisemitismus zu distanzieren. Denken wir nur an Straches Worte im vergangenen Januar am Akademikerball: „Die Verantwortung und das Gedenken an die Opfer des Holocaust sind uns Verpflichtung und Verantwortung. Wer das anders sieht, soll aufstehen und gehen“. Das hatte zwar einen Shitstorm seiner Fans zur Folge. Die FPÖ- Führung scheint den Antisemitismus aber tatsächlich hinter sich lassen zu wollen – um ihn durch jenen neuen Rassismus der vollen Identifizierung von Menschen aus islamisch geprägten Gesellschaften mit dem Islam zu ersetzen. Arik Brauers Satz: „Von dem alten, europäischen Antisemitismus fühle ich mich nicht mehr bedroht“, ist auch vor diesem Hintergrund zu lesen.

Hat er Recht? Ist der sogenannte politische Islam heute gefährlicher als die neue Rechte? Abstrakt lässt sich diese Frage nicht beantworten. Dass Brauer, der meint: „Aus meinem Vater wurde Seife gemacht, aus mir wird niemand Seife machen, weil es einen jüdischen Staat gibt, der stark ist“ sich vor der Islamischen Republik Iran, die im März 2016 Raketen mit der hebräischen Aufschrift „Israel muss ausradiert werden“ testete, mehr fürchtet als vor Straches Positionen in der Raucherdebatte, ist mehr als nachvollziehbar. Die Gefahr, die vom sogenannten politischen Islam ausgeht, zu relativieren, wäre fahrlässig.

Aber: Die Distanzierung der offiziellen FPÖ vom Antisemitismus stellt bloß eine Momentaufnahme dar. Faschismus bleibt – auch als entkoffeinierter Faschismus – gefährlich. Oder um es mit Adorno zu sagen: „Ich betrachte das Nachleben des Nationalsozialismus in der Demokratie als bedrohlicher, denn das Nachleben faschistischer Tendenzen gegen die Demokratie.“

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