Die Erzählung Der Heiligenscheinorgsamus kreist obsessiv um die Frage ... |
Solches
kann man auch von literarischen Werken von Sama Maani behaupten, der allerdings
in dieser Monographie nicht erwähnt und bearbeitet wird. Seine Literatur ist
durch und durch politisch. Er fügt aber, noch bevor sich die
Literaturwissenschaft kommentierend einschaltet, selber weitere Ebenen des
Diskurses hinzu, denn er schreibt nicht nur Romane, Erzählungen und Poesie, in
denen das Politische eine ästhetische Funktion annimmt, sondern konfrontiert,
analysiert und kritisiert Entwicklungen in Politik und Gesellschaft in
essayistisch-literarischer Form mit Hilfe von Theorien der Psychoanalyse und
der Philosophie, wie es im Motto seines Blogs in der Zeitschrift “Der Standard”
lautet.
Seine
Themen bearbeitet er also, indem er sie in drei für ihn wesentliche Diskurse
projiziert, den ästhetischen, den politisch-philosophischen und den
psychoanalytischen. So stellt sich nun die Frage, ist er ein Literatur
schreibender Psychoanalytiker, ist das Ästhetische ein Ausdrucksmittel der
Psychoanalyse geworden oder umgekehrt und hat die Psychoanalyse eben Eingang
gefunden in die Literatur und wurde durch die Gesetzmäßigkeiten des
ästhetischen Raumes zu etwas anderem umgewandelt, ähnlich wie das mit dem
Politischen geschah? Oder aber werden beide Räume, das Ästhetische - mit all
seinen politischen Implikationen und das Psychoanalytische - letztendlich
zurückgeholt in die Dimensionalität der empirischen Welt, wo sie abermals
beginnen, politisch zu wirken? Hat der literarische, der ästhetische Aspekt
einen guten Grund, sich der Urangst der Literatur vor politischem Engagement zu
erinnern? Es ist evident, dass Maanis Literatur nicht auf Autonomieästhetik
aufbaut, gar nicht erst versucht, über den Einfluss der Zeit erhaben zu sein.
Ebenso wenig kreuzt sie aber auch die Umlaufbahn der Agitprop-Literatur. Was seine literarischen Subjekte
antreibt, die gesamte Handlung prägt, ist die Frage, wie man zum Subjekt wird
in einer Zeit, deren Wesen nach wie vor auch ein politisches ist, eine
Tatsache, die jedoch anscheinend für das Subjekt nicht mehr bildend sondern
abträglich ist.
Diese
Fragestellung, die literarisch bearbeitet wird, hat ihren Ursprung in der empirischen
Realität, wirkt aber ebenso auf diese zurück. Es geht um Fragen, bei denen man
sich als reflektierendes europäisches Subjekt durchaus angesprochen fühlt. Wie
die Anomalien des Politischen, wie das Pathologische an einer Gesellschaft, in
der nationale Identitäten das Subjekt als Träger des Politischen zum großen
Teil verdrängen, von Sama Maani literarisch gefasst werden, werden wir am
Beispiel seiner Erzählung Der Heiligenscheinorgasmus zeigen. Anhand
dieser Erzählung können wir paradigmatisch sein Verfahren darstellen, das
ähnlich auch anhand seines jüngsten Romans “Teheran Wunderland” aufgezeigt
werden könnte. Dass die Verknüpfung zwischen dem Menschen als schierem
Lebewesen und seiner politischen Dimension auf keine Weise ausgeblendet werden
kann, wird in dieser Erzählung unmissverständlich vor Augen geführt.
Genau
in diese Richtung verläuft aber auch ein großer Teil des Diskurses in der
erwähnten Monographie Das Politische in der Literatur der Gegenwart. Dass
dabei die Frage nach dem Politischen in der Literatur zugleich auch eine Frage
nach dem politischen Subjekt ist, hierauf verweist auch die Abhandlung von
Immanuel Nover über Aischylos' Die Schutzflehenden und Elfriede Jelineks Die
Schutzbefohlenen, in der er an Heideggers Begriff des Miteinandersprechendseins
in dessen Abhandlung über die Grundbegriffe der Aristotelischen Philosophie
ansetzt. Ohne das Miteinandersprechendsein nämlich gibt es das Subjekt
nicht. Es handelt sich um eine grundlegende Bestimmung des Daseins und zwar
nicht bloß im Sinne eines Nebegestelltseins. Wesentlich dabei ist
nämlich Kommunikation, Mitteilung, Widerlegung, Auseinandersetzung, etc. Bei
Aristoteles ist die intersubjektive Kommunikation nicht nur die
Grundeigenschaft des zoon logon echon, des vernünftigen Lebewesens,
sondern auch die des zoon politikon, des Menschen als bereits seinem
Wesen nach einem sozialen, politischen Wesen.
Bei Hannah Arendt, einer der eminentesten
Theoretikerinnen des Politischen, ist der Mensch seinem Wesen nach zunächst
a-politisch. Das Politische gehört nicht zu seiner angeborenen Essenz; das
Politische entsteht erst Zwischen-den-Menschen, liegt außerhalb des Menschen.
Es ist etwas durch den Menschen Hervorgebrachtes, ein Akt der politischen
Subjektivierung. Bestehen und Sich-Austragen kann sich das Politische also nur
in dem zwischen den Menschen liegenden Raum der Auseinandersetzung. Arend
spricht in ihrem Buch “Vita Activa oder Vom Tätigen Leben” vom sogenannten Erscheinungsraum.
Es ist ein Raum der Diskussion und Subjektivation, der auch ein Raum der
legitimen politischen Versprachlichung ist.
Detailliertere Einsichten in Arends Konzept des Politischen finden wir in der Studie von Kahraman Solmaz. Er macht darauf aufmerksam, dass es bei Arendt ein politisches, ein vor-politisches (sowie auch ein nichtpolitisches) Handeln gibt: „Während das politische Handeln seinen Ort in einem gesicherten Raum der Freiheit findet, in dem die Menschen versuchen, die Meinung der anderen über verschiedene gemeinsame Angelegenheiten durch Reden und Überreden sowie durch die Eröffnung unterschiedlicher Perspektiven zu verändern, findet das vor-politische Handeln in einem ungesicherten Raum der Erscheinungen statt, in dem sich die Menschen mit der Absicht aufeinander zu bewegen, etwas Neues in die Wirklichkeit zu rufen oder bestimmte Prozesse zu durchbrechen.” (Solmaz). Der Erscheinungsraum eröffnet sich also bei Arendt im Bereich des Vor-politischen, das auch der Raum des Agonalen ist.
Detailliertere Einsichten in Arends Konzept des Politischen finden wir in der Studie von Kahraman Solmaz. Er macht darauf aufmerksam, dass es bei Arendt ein politisches, ein vor-politisches (sowie auch ein nichtpolitisches) Handeln gibt: „Während das politische Handeln seinen Ort in einem gesicherten Raum der Freiheit findet, in dem die Menschen versuchen, die Meinung der anderen über verschiedene gemeinsame Angelegenheiten durch Reden und Überreden sowie durch die Eröffnung unterschiedlicher Perspektiven zu verändern, findet das vor-politische Handeln in einem ungesicherten Raum der Erscheinungen statt, in dem sich die Menschen mit der Absicht aufeinander zu bewegen, etwas Neues in die Wirklichkeit zu rufen oder bestimmte Prozesse zu durchbrechen.” (Solmaz). Der Erscheinungsraum eröffnet sich also bei Arendt im Bereich des Vor-politischen, das auch der Raum des Agonalen ist.
Bei
Carl Schmitt ist der Raum des Zwischenmenschlichen ein Raum des Antagonismus
und der Auseinandersetzung, bei der es unweigerlich zur Vernichtung des
politischen Feindes kommt. Im Gegensatz hierzu sieht Chantal Mouffe, eine der
prominentesten Vertreterinnen eines agonistischen Pluralismus, in ihrer
agonalen Demokratietheorie, die sich von Schmitt abgrenzt, die Möglichkeit im „gemeinsamen
symbolischen Raum” (Mouffe 2007: 14) das Subjekt mit einer Stimme zu versehen,
die es erheben darf und die gehört werden kann. Der Entzug dieser Stimme durch
Machtstrukturen bedeutet den Entzug der politischen Subjektivität und nach
Aristoteles und Heidegger auch den der menschlichen Subjektivität.
Nun
sind die literarischen Texte Sama Maanis erfüllt von politischer Thematik. Die
Erzählung Der Heiligenscheinorgasmus kreist geradezu obsessiv um die
implizite Frage - wie werde ich zum Österreicher. Der Ansatz ist aber
keineswegs von vorne herein ideologisch, es handelt sich also nicht um einen
politischen Text in literarischem Gewand. Vielmehr wird die Frage der
Subjektivierung in direkte Abhängigkeit von dem Problem der fehlenden
nationalen Zuordnung gebracht. In was für einen politischen Raum stellt Sama
Maani seine literarischen Subjekte? Sind sie überhaupt des Sich-Einsetzens als
Subjekte fähig? Treten Sie in den Zustand des agonistischen Pluralismus, um
sich dadurch zu behaupten?
Um
diese Fragen beantworten zu können, begeben wir uns zuerst auf den Weg durch
das literarische Feld unserer Erzählung:
Der Heiligenscheinorgasmus
Im
Lichte unseres Nachdenkens über das (politische) Subjekt sei vorab bemerkt,
dass der Text in der ersten Person erzählt wird und dass der Icherzähler
namenlos bleibt. Die Erzählung „Heiligenscheinorgasmus” beginnt mit einer
dramatischen Szene auf dem Zürcher Hauptbahnhof, die wie ein Prolog wirkt. Es
ist ein öffentlicher, anonymer Raum, ein Raum, wo Menschen vorübergehen, sich
ignorieren, kein Forum. Versprachlicht werden hier Ankünfte und Abfahrten.
Menschen erscheinen in diesem Raum und verschwinden wieder. Es ist aber auch
der Raum, in dem der Ich-Erzähler auftritt. Sein erster Satz lautet: „Mein
Leben in Zürich begann mit einer Lüge.” (Maani 2016: 9) Im nächsten Satz
erfahren wir, das er sich ins Cafe Les Arcades gesetzt hat und einen entkoffeinierten
Café Crème bestellte. Das wäre ein völlig belangloses Detail, hätte Sama Maani
nicht auch einen Blog geschrieben über entkoffeinierten Sex und entkoffeinierte
Politik (Vergleiche: https://derstandard.at/2000056397418/Wie-sexuelle-Autonomie-die-Lust-toetet,
https://derstandard.at/2000056794055/Von-der-entkoffeinierten-Sexualitaet-zur-entpolitisierten-Politik,
April 2017). In der Tat sind Sex und Politik zwei Hauptthemen unserer
Erzählung. Um diesen Hintergrund ein bisschen zu erläutern - Maani behauptet,
dass unsere „aktuelle Haltung zur Sexualität und unser Verhältnis zur Arbeit
keineswegs von Hedonismus und Materialismus bestimmt sind, sondern, im
Gegenteil, von asketischen Idealen” (https://derstandard.at/2000056794055/Von-der-entkoffeinierten-Sexualitaet-zur-entpolitisierten-Politik,
Mai 2017) und dass „Askese und Narzissmus das radikale ‚Desinteresse an
den Objekten der Außenwelt’ als Wesensmerkmal miteinander teilen.” (Maani: Mai
2017) Wenn wir nun den Text weiterlesen, zeigt sich rückblickend, dass Maani
den Ich-Erzähler seiner Erzählung tatsächlich als einen Asketen und Narzissten
auffasste. Es zeigt sich bald, dass der gesamte innere Monolog um den Focus der
nationalen Identität kreist sowie die Unmöglichkeit, das damit in Verbindung
stehende Glück im persönlichen Leben zu erlangen. Im dritten Satz wird dann
bereits das Problem der gesamten Erzählung und der neuralgische Punkt des
Ich-Erzählers formuliert. Eine Zürcherin, die sich zu ihm setzt, fragt ihn,
offensichtlich durch sein ausländisches Aussehen angeregt, wo er denn
herkomme. Das löst eine Sprachlawine aus und ergibt den Auftakt zu seiner
schweizerischen Existenz in Gestalt der erwähnten Lüge. Diese besteht darin,
dass der Erzähler eine Geschichte erfindet, wie seine Eltern aus Pakistan
kommend in die verschiedensten europäischen Staaten umsiedelten bis sie
schließlich in Graz landeten weshalb sich nicht sagen lasse, wo genau er
herkomme. Der Erzähler wird durch die Erläuterung zunehmend derart in Rage
versetzt, dass die Zürcherin eilends aus dem Café flüchtet. Dabei ist seine
Geschichte eigentlich nicht weit entfernt von der Wahrheit, denn er ist Sohn
persischer Immigranten, die mit ihm, als er zwölf Jahre alt war, nach Graz
kamen. Durch die sogenannte Lüge pointierte der Icherzähler, wie wenig
geographische Zuordnungen über einen Menschen aussagen, wobei der Unterschied
zwischen Pakistan, Iran etc. sowieso keine Rolle spielt, da die Frage nach der
Herkunft selbst für ihn schon beleidigend ist. Dies erscheint einerseits
plausibel, andererseits höchst übertrieben. Das Hauptproblem des Icherzählers
ist damit blossgelegt, gleichzeitig aber auch das einer Gesellschaft, in der
anscheinend ethnische Differenzen nicht ansprechbar sind, da sie prinzipiell
als unkorrekt empfunden werden. Dies wäre in der Erzählung der erste Raum, der
sich den Protagonisten verschiedener ethnischer Herkunft öffnete und zur
Verfügung gestellt würde um das Miteinander-sprechen über bestimmte, für sie
relevante politische Themen zu ermöglichen. Es ist ein Raum für die potentielle
Austragung von Handlungen, durch die sie sich als vernünftige und politische
Wesen erweisen und so ihre Subjektivität erlangen könnten. Doch scheitern sie
alle. Ihr Sprechen ist auf Beleidigen, Bedrohen, Beschimpfen begrenzt, ist
Feindseligkeit. Sie sprechen nicht miteinander, sondern gegeneinander.
Ähnlich
verhält es sich bei der Seziersaalszene. Worum geht es hier? Fünf Personen
treten auf. Ihre Subjektivität ist stark reduziert. Sie treten nur als Träger
national-populistischer Identitäten in Erscheinung, groteske Figuren fast wie
aus einem Marionettentheater, genannt die „österreichischen
Faschistenkollegen” (Maani 2016: 2) Laszlo, Walter und Hanno, die, Nomen est
Omen, dastehen für Ungarn, Deutschland und Österreich. Die vierte Person
ist der „liebenswerte, aus Deutschland stammende Freund” (Maani 2016: 2)
Hanfried Zaun, der eben das andere, zivilisierte und weltoffene Deutschland
repräsentiert. „Der gutmütige, bundesdeutsche Zaun” (Maani 2016: 2) wird er
auch genannt. Die fünfte Person ist natürlich der Ich-Erzähler.
Während
ihrer Tätigkeit brüllen also Walter, Laszlo und Hanno, sie sezierten gerade
die Leber, die Milz oder das Herz eines Juden, und sie würden jedem jüdischen
Mann, Frau oder Kind, das ihre medizinische Praxis aufsuchte, mit dem
Seziermesser ins Herz stechen. Der Ich-Erzähler sitzt dabei auf seinem Hocker
und sagt nichts, tut nichts, mischt sich keineswegs ein. Er erkennt sie zwar
als faschistische Seziertischkollegen, bleibt aber regungslos und stumm,
protestiert auf keine Weise gegen die Verruchtheit des symbolischen Tötens von
Juden, was ihn eigentlich in die Position der Mitwisserschaft bringt. Die
Situation spiegelt durchaus den realen Judenhass der empirischen Wirklichkeit
wider, wie er sowohl in Mitteleuropa als auch im Iran historisch und
gegenwärtig vorhanden ist. Der Ich-Erzähler greift nicht ein, entweder weil er
gelähmt durch Angst ist, oder weil man angesichts einer solchen Barbarei
einfach sprachlos, entrüstet ist. Dies würde besagen, dass es im politischen
Raum keinerlei Mittel dagegen gibt oder, noch schlimmer, obwohl er zwar das
faschistische Benehmen erkennt und kritisch beurteilt, ihm das aber unter den
gegebenen Umständen ganz recht ist, insofern der blanke Hass der neuen
Faschistengeneration sich nur gegen fiktive Juden und eben nicht gegen ihn
wendet. Er bleibt trotz seiner persischen Herkunft für die drei faschistischen
Kollegen als mögliches Ziel des Rassenhasses uninteressant, verkannt,
unsichtbar. Dadurch wird die Erwartung des Lesers, der sich hinsichtlich
solcher faschistischer Ausschweifungen logischerweise vorstellt, nun komme bald
auch unser persischer Icherzähler an die Reihe, enttäuscht. Warum passiert das
nicht? Anscheinend doch, weil sowohl die drei faschistischen
Seziertischkollegen wie auch der Icherzähler allesamt im Kreislauf ihrer Ängste
umherjagend gefangen sind in ihrer eigenen Welt und sich also gar nicht in
jenem selben Raum befinden, in dem sie miteinander sprechen könnten.
In
unserem Text kommt es im Folgenden zu einer Erweiterung der Szene, denn in den
Seziersaal tritt der sogenannten freundliche bundesdeutsche Kollege. Dieser
wird aber nicht einfach ignoriert. Er betritt vielmehr den Raum auf solche
Weise, dass er von den drei Faschisten als potentielles Opfer ihrer Aggression
und als Feind erkannt wird. Er wird im Wiener Dialekt bedroht, indem einer ihm
das Seziermesser vor den Augen hält und sagt: „Wüst a Sezziermesser im
Bauch?” (Maani 2016:7) An dieser Stelle erst wächst die Empörung des
Icherzählers zu ihrem Höhepunkt, den er folgendermaßen formuliert: „Wenn ich
nicht etwas tue oder sage, verliere ich meine Ehre und meinen Stolz auf immer
und ewig.” (Maani 2016:7) Es stellt sich aber heraus, dass er nicht weiß, was
zu tun oder zu sagen wäre und deswegen tut oder sagt er gar nichts. Sein
freundlicher bundesdeutscher Kollege hat auf die Situation auch nur die eine
Antwort. Er zieht sich zurück. Die Arena wird also widerstandslos geräumt und
den Faschisten überlassen. Für den Icherzähler bedeutet der Vorfall viel mehr
als nur den Verlust von Ehre und Stolz. Durch sein Nicht-Handeln und
Nicht-Sprechen entmündigt er sich selbst als politisches Subjekt und stellt
dadurch seine gesamte Integrität in Frage. Seine tiefste Verletzung mag darin
bestehen, dass er in der Peripetie des Dramas schlechthin irrelevant war.
In
eine andere Richtung verläuft der Subjektivierungsprozess im Umgang mit Frauen.
Die Exposition ist hier folgende: der Icherzähler steht während seines
Krankenhauspraktikums gegenüber einer rundlichen, blonden Krankenschwester mit
dem Namen Beate Uhland am Bett eines todkranken, röchelnden Mannes, der wegen
Trunksucht an hochgradiger Herzvergrößerung leidet. Auch hier lautet die
umstandslose Eröffnungsfrage an den Icherzähler, woher er denn komme? Er hält
gerade einen Filzstift in der Hand, mit dem er die Konturen des vergrößerten
Herzens auf die Brust des im Sterben Liegenden zeichnen sollte. Stattdessen
zeichnet er auf dessen Brust die Kontouren Österreichs und malt darauf einen
Punkt für Graz. Auf diese Weise erhalten wir eine sehr wirkungsvolle Metapher
Österreichs, einen Icherzähler, der sich manisch in die Landkarte eines
sterbenden Landes einzeichnen will, sowie eine Frau mit dem Namen Beate als
Anspielung auf die gesuchte und erhoffte Glückseligkeit. Sie ist anscheinend
so ungebildet und ignorant, dass sie nicht imstande ist, die gezeichneten Konturen
ihrer eigenen Heimat zu erkennen, und nennt stattdessen diverse andere Länder.
Wenn in der vorherigen Szene der faschistische Kollege des Icherzählers ein
Skalpell als Waffe jemandem gegen das Gesicht richtet, dann ist es hier der
Icherzähler, der den Filzstift „wie eine Waffe” (Maani 2016:17) gegen die
blauen Augen der Krankenschwester richtet. Diese Konfrontation wird zum Anfang
einer Beziehung, in der zuerst das bekannte Repertoire an populistischen
Vorurteilen und auch schlechten Erfahrungen mit Persern durchgespielt wird. Der
„romantische” Abend findet anschließend im Musikcafé Toter Engel statt. Die Beziehung ist ganz in das Umfeld von
Krankheit und Krankhaftigkeit getaucht. Der Ich-Erzähler, von vornherein
gekränkt, sucht sich gerade eine Krankenschwester als Partnerin aus. Die
Beziehung der beiden basiert auf gegenseitiger Besessenheit, einer unerklärlichen
Anziehungskraft, die auf dem Anderssein gründet; denn wie wir erfahren,
begehren nämlich österreichische Frauen „Faschistinnen wie Nicht-Faschistinnen
[...] männliche, schwarzhaarige Ausländische” (Maani 2016:13) heftig. Ebenso
gründet sie aber auch auf einer noch umso heftigeren Abneigung und wird daher
auch umgehend wieder beendet.
Das
Thema der Krankhaftigkeit wird daraufhin ausgeweitet, indem das Auftreten einer
ganzen Reihe von psychosomatischen Krankheitssymptomen in Verbindung mit dem
Icherzähler gebracht werden. Das „Persischsein” und das „Österreichische”
scheinen organisch unvereinbar zu sein, das Österreichische kann das Persischsein
nicht einverleiben, und umso schwieriger zeigt sich die Situation des
Icherzählers, der beides in sich trägt. Interessanterweise wird in der
Erzählung niemals Österreich als Land oder überhaupt ein staatspolitisches
Gebilde erwähnt, sondern immer nur das Österreichische als Eigenschaft. Im Raum
des Miteinandersprechendseins begegnen sich auch niemals das Österreichischsein
und das Persischsein auf Augenhöhe. Ihre irgendwie geartete Koexistenz wird
demnach auch nicht durch Sprechen, Zuhören, Verstehen von ausgeprägten
Subjekten geregelt.
Der
Icherzähler verlässt schließlich seine befremdende Quasiheimat und beginnt sozusagen
seine Wanderjahre mit einer Schlussfolgerung: „Am Ende war ich überzeugt, mein
Elend verdanke ich einzig und allein meiner Existenz im Österreichischen,
umgeben von österreichischen Menschen, meinen Liebesbeziehungen zu
österreichischen Frauen und dem Umstand, daß mich meine Eltern im Alter von
zwölf Jahren ungefragt ins Österreichische Graz verbracht haben [...] So
beschloß ich, das Österreichische zu verlassen und das Glück anderswo zu suchen.“
(Maani 2016:22)
Im
Schweizerischen Graubünden kommt schließlich das magische und wundersame Moment
ins Spiel, das der Erzählung ihren Titel gegeben hat, nämlich der Heiligenscheinorgasmus,
bzw. das, was ein Freund Sama Maanis als „die Geburt der österreichischen
Identität aus dem Geiste der Beschimpfung” (Maani: Mai 2017) bezeichnete. Der
Icherzähler bekommt einen Tobsuchtsanfall, als er beinahe mit einem
jugendlichen Schweizer Snowboardfahrer zusammenstößt und ruft ihm „im Deutsch
der österreichischen Menschen etliches Böse und Gehässige” (Maani 2016:24)
nach, was ihm seinerseits von dem Schweizer „im Hochdeutsch der
Deutsch-Schweizer” (Maani 2016:24) zurückgegeben wird. Dieser nennt ihn “einen
Idioten aus Österreich, einen Krüppel, der nicht Skifahren könne und
behauptet, alle Österreicher seien Faschisten, Onanisten und Kinderschänder.
(Maani 2016:25) Was folgt, ist der ironische Höhepunkt der Erzählung, denn
der Icherzähler gerät in eine Art Verzückung, „es folgte eine außerordentliche,
überwältigende Entladung, ein Ganzkörperorgasmus” (Maani 2016:25), ein
transzendentales Erlebnis mit einer Aura, einem Heiligenschein dadurch, dass
er als Österreicher beschimpft wurde. Die Glückseligkeit, in die er auf diese
Weise versetzt wird, ist so groß, und der Wunsch, es nochmal zu erleben, so
dringend, dass er fortan dem Erlebnis wie einem heiligen Gral manisch
hinterherläuft.
Der
Schmerz, nirgendwohin zu gehören, sein Weltschmerz, das Fehlen des Österreichischseins
führt ihn immer weiter. Die Erzählung nimmt fortan immer phantastischere Züge
an und wandert ab ins Reich des Unterbewussten und des Bizarren, wobei diese
Merkmale durch parallel gesteigerte ironische Distanz zielgenau dazu führen, wo
uns Sama Maani haben will. Das Österreichische, wie alle anderen aus dem
Ethnischen abgeleiteten Eigenschaften, die im Prinzip politische Kategorien
sind, existiert im Reich der Vernunft gar nicht und bleibt für den Menschen,
der nicht hineingeboren wurde, ein schicksalhaftes und auf rechte Weise nicht
zu erlangendes Privileg, ein Heiligtum, ein Phänomen aus dem Bereich des
Übersinnlichen, dem alle geborenen Österreicher huldigen und welches diese
jedem anderen aberkennen, ohne es selbst für sich erkannt zu haben. Sie
benehmen sich allesamt in diesem Sinne als Gläubige, und das Österreichische
ist ihre Religion. Der Icherzähler begibt sich dagegen in seiner narzisstischen
Neurose auf einen Erkenntnisweg. Er will sozusagen Erkennender der Religion des
Nationalen werden, um an ihr teilhaben zu können. Auf diesem Weg führt ihn die
moderne Version einer Hexe in Form einer grünäugigen halb-Kind-halb-Frau-Hure
aus dem französischen „Welschland”. In ihrem Zeitungsinserat steht: „Louise,
Inländerin, 22, blond, schlank, Studentin der Politik, hübsch, mittelgroß,
erfüllt jeden Wunsch, auch ausgefallene und bizarre.” (Maani 2016:37) Und
gerade das Wort bizarr zieht den Icherzähler an, denn er weiß, es ist etwas
Bizarres, sogar etwas Übersinnliches in dem Wunsch, das Österreichische und
den mit dem Österreichischen hermetisch verbundenen Heiligenscheinorgasmus
erfahren zu wollen. Daher sucht er sie sofort auf. Ein paar hundert Jahren
früher würde er sich in den Bereich der Alchemie begeben haben, um dort seinen
Mephisto zu finden. Heute leitet ihn ironischerweise als Muse und Lehrerin
durch die Unterwelt eine Hure, noch dazu Studentin der Politik. Die Erzählung
nimmt hier noch groteskere und fantastischere Züge an. Wenn der Icherzähler
bis jetzt in den Zustand des Heiligenscheinorgasmus dadurch gelangt, dass er
als Österreicher beschimpft wird, also passiv, erzählt ihm Louise von derselben
Erfahrung, die für sie dadurch zustande kam, dass sie ihren Liebhaber zuerst
durch die anscheinend okkulten Kräfte ihrer Beschimpfung, hier also aktiv,
regelrecht umbringt, um anschließend in einem nekrophilen sexuellen Akt mit
seiner Leiche zur Erfahrung des „Orgasmus mit aureole” (Maani 2016:40) zu
gelangen. Auch hier sind Bestandteile dieser extremen und tödlichen Beziehung
Merkmale, die aus dem Bereich des Politischen und Kulturellen herrühren.
Ausdrücklich hervorgehoben wird nämlich, dass Louises umgebrachter Liebhaber
mit dem schönen deutschen Namen Franz mütterlicherseits afrikanischer Herkunft
war. Er wird durchaus liebevoll beschrieben als ein Relikt vergangener Zeiten,
ein etwas naiver und kindischer „musicien”, ein Künstler also, der im
Zirkus mit einer afrikanischen Seiltänzerin flirtet, dadurch eine verhängnisvolle
Eifersucht in Gang setzt und schließlich durch die Macht von Louises Beschimpfung
einfach eingeht. Das Fremde, Andersartige und dazu zählt auch das
Künstlerische, wird durchaus geliebt, und zwar hier umso mehr, indem es zuerst
zu Tode geschimpft und dann noch konsumiert wird. Darauf lässt sich jetzt der
Icherzähler ein. Die Erzählung erreicht ihren Umschlags- und Höhepunkt, als
Sama Maani den Ausgang seiner fantastisch-grotesken Geschichte in die makabre
Wohnung der Politik studierenden Hure Louise verlegt und noch weitere Elemente
einsetzt.
Maßgeblich
ist eine Reminiszenz des Icherzählers an seine einstige, erfolglose Psychoanalyse
bei einem steirischen Dr. Kinz, mit dem er seinen unzüchtigen Gedanken und
abartigen Phantasien auf den Grund kommen wollte. Von solchen wurde er geplagt,
seitdem ihm als Kind seine Mutter das Grimmsche Märchen „Hänsel und Gretel”
vorgelesen hatte, es geht genauer um den Abschnitt, in dem vom Zuckerbrothaus
gesprochen wird und darüber, dass die Hexe Kinder verschlingt. Die Verbindung
zu Hexenmotiv wird dadurch auch direkt hergestellt. Im Gegensatz zu Hänsel und
Gretel, die nicht wussten, was ihnen droht, wenn sie vom Zuckerbrot essen, ist
dem Icherzähler klar, worauf er sich einlässt. Er wird ja direkt gefragt, ob er
bereit sei zu sterben, um den Heiligenscheinorgasmus zu erreichen und dadurch
implizit in den Besitz des Österreichischen zu gelangen. Außerdem ist Louises
Wohnung im Gegensatz zum leckeren Haus der Hexe von Hänsel und Gretel voll von
Essensresten, Abfällen und Verwesung. Sie ist also nicht nur unappetitlich,
sondern vollkommen widerwärtig. Das literarische Zuckerbrothaus erwies sich als
Falle, hinter der sich eine grausame Realität verbarg. In unserem Fall wird das
Verwerfliche, Abartige und Bizarre erst gar nicht verborgen. Es stellt sich
eher die Frage, ob der Icherzähler bereit ist, quasi durch Feuer und Wasser zu
gehen um zur Lösung seiner Existenzfrage zu gelangen, sich ironischerweise als „würdig”
zu erweisen. Die Gleichung lautet so: Solange er sich bemühte, anständig und
tugendhaft zu leben, wurde er von seiner Umgebung als fremd wahrgenommen. Nun
erst, wo er die Seiten wechselt und ins Abartige rutscht, liegt er auf dem
richtigen Weg. Es folgt demgemäß auch ein Methodenwechsel. Das bis zum
Äußersten wütende Beschimpfen zur Erlangung des Heiligenscheinorgasmus, das
bisher allein Wirkung zeigte, der männlich-aggressive Ansatz, wird gegen eine
dem Milieu entsprechende Erotik und das süße Zureden der „Hexe” Louise
eingetauscht. Es funktioniert aber anscheinend dadurch, dass der Icherzähler
zum ersten Mal von jemandem erkannt wird in dem, was er wesentlich ist, ein
Mann mit Eigenschaften sozusagen, und hier mit einer ganz besonderen sogar: „Isch
'abe gleisch mir gedacht, du bist Autrichien. Du bist ein Autrichien typique…”
(Maani 2016:50) und später “isch finde so süß die Autrichiens, alle sind
so, wie du, süße… psychopathes …“ (Maani 2016:51) Das Fragen nach dem
Österreichischen, bzw. der Versuch, die große Irritation, die das
Österreichische verursacht und den Ich-Erzähler auf seinen Bildungsweg treibt,
wird hier von der Prostituierten und Politikstudentin Louise in der Rolle der
Muse beantwortet. In der Fremde, von einer Fremden in äußerst befremdlichen,
unheimlichen und ungemütlichen Umständen erst wird der Icherzähler als
typischer ergo psychopatischer Österreicher erkannt und findet endlich sein
Daheim. In einer weiteren ironischen Wendung lässt Sama Maani den Ich-Erzähler
zuerst zu der Schlussfolgerung gelangen, dass die Erkenntnis nur durch einen sogenannten
„Unzuchtsakt” zu gewinnen sei, bei dem er möglicherweise sterben werde. Den
Trick vollführt letztendlich ein Kuss, wie in einem Märchen. Der
Heiligenscheinorgasmus wird ausgelöst, der Icherzähler wird entzaubert und als
österreichischen Psychopath akzeptiert. Ist aber dabei etwas gestorben?
Das
zu lösende Rätsel ist in diesem Fall ein politisches: „Wie werde ich Österreicher?
Wie kann ich mich integrieren, lautete die Frage?” Ironischerweise genügten
aller gute Wille, aller Anstand nicht, weder Arbeit, noch das gesamte
Wertesystem. Alles dieses taugte nichts, verfehlte das Ziel. Solange man nur
innerhalb seines Nationalraumes verweilt, kann man sich anscheinend nicht
subjektivieren, die Selbsterkenntnis bleibt versperrt, man kann den Wald von
lauter Bäumen nicht sehen.
Indem
der Icherzähler seinen national-politischen Raum, der auch sein ethischer Raum
ist, verlässt und aufhört, ein im Wesentlichen anständiger, ein züchtiger
Mensch zu sein, wird er erst zum echten Österreicher. Er hat denjenigen
vor-politischen Raum gefunden, der für ihn seinen Zweckt erfüllt. Es ist dies
aber kaum ein Raum legitimer Versprachlichung; es handelt sich vielmehr um das
genaue Gegenteil eines öffentlichen, bürgerlichen Raumes, eines Forums, in dem
ein politisches Subjekt als Mensch seinen legitimen und anerkannten Platz
finden würde. Im Übrigen ist dies aber ein Raum, auf den keine Moral anwendbar
ist; alles, was dort existiert und Wirkung hervorbringt, ist zweckorientierter
Wille, sozusagen Wille zum Heiligenscheinorgasmus. Der Icherzähler macht sich
selbst zum Österreicher. Die Überbrückung der Kluft, die in seinem früheren
sozialen Leben unmöglich war und die ihm auch als verbotener Transfer zwischen
Therapeut und Klient bei seiner Psychoanalyse verwehrt blieb, wird hier
eigenmächtig durchgeführt. Mit Erfolg.
Und
dann gibt es in diesem Pandämonium von Kuriositäten auch noch die persische
Katze, Katzen gehören ja zur Ikonographie von Hexen. Auch die Katze heißt
Louise, wie die Hure Louise, ist sozusagen deren Alter Ego. Mit ihr hat es
etwas Magisches auf sich. Sie ist geheimnisvoll wie die Sphinx und wandert hin
und her über die Schwelle von Dies- und Jenseits, wirkt aber auch als ein
Requisit aus dem psychoanalytischen Repertoire. Sie stirbt immer wieder und
steht dann wieder von den Toten auf. Zu ihrer Auferstehung kommt es gerade
durch den Heiligenscheinorgasmus. Mit der Geburt des Österreichischen im
Icherzähler durch den Kuss der Hure/Hexe Louise scheint seine Gespaltenheit
hinsichtlich des Persischen aus ihm zu verschwinden. Das Persische lebt quasi weiter
in der domestizierten Form einer Katze, es wird zum Haustier.
Die
Erzählung davon, wie man Österreicher wird, schließt Sama Maani folgendermaßen:
„Ich habe auf Louises Anregung hin meinen Beruf als Nervenfacharzt aufgegeben
und betreibe zusammen mit ihr eine sogenannte Go-Go-Bar am sogenannten Wiener
Gürtel.” (Maani 2016:52) Was der Icherzähler bei der Lösung seines
Lebensproblems aufgibt, kündigte die Gestalt der Louise metaphorisch bereits
an. Inwiefern war der Icherzähler gestorben? Was ist durch den scheinbar
harmlosen Liebes- und Todeskuss gestorben? Es sind nicht nur der Beruf und die
Ambitionen, sondern im Prinzip die gesamte persönliche Freiheit. Es erscheint
als seine ganz persönliche Wahl, die er eigenmächtig durchsetzt. Allerdings
ist der Icherzähler an dieses Ziel aber nur gelangt, weil er eben dahin
getrieben wurde, nicht aus freier Entscheidung. Das Momentum der Erzählung ist
nicht Freiheit der Wahl, sondern Ausweglosigkeit, nicht Selbsterkenntnis,
sondern Erkanntwerden, das Bestimmtsein durch andere. Es handelt sich um Flucht
vor dem größeren Übel und nicht um das Verfolgen einer eigenen Lebensvision.
Alles geht nach dem Motto: „…das Lebensziel bestünde nicht in der Suche nach
immer mehr Glück, sondern nach immer weniger Unglück.” (Maani 2016:52) Das
klingt wie das Aufgeben der Hoffnung, sich jemals als freies (politisches)
Subjekt etablieren zu können. Der Icherzähler landet praktisch in einem
halbfreien Verhältnis mit der Hure Louise. Hierfür ist er aber in die
österreichische Gesellschaft „integriert” worden. Auch das ist natürlich nur
scheinbar eine eigene Wahl. Er war doch bloß dem anscheinend einzig für ihn
plausiblen Weg gefolgt, der vollkommenen Auslieferung seines Wesens an das
Österreichische.
Und
noch etwas ist interessant an dem Raum selbst, in dem die Erfüllung des Heiligenscheinorgasmus
stattfindet. Es ist die höchst makabre und auch Ekel erregende Wohnung der
Hure Louise. Eigentlich erwartet man eine Art von heiligem Schrein, einen Raum
eben, der dem Heiligenscheinorgasmus angemessen ist, oder zumindest, da es sich
um einen erotisch aufgeladenen Raum handelt, etwas das dieses Zweck erfüllt.
Die Beschreibung der Wohnung schildert aber eine Art Mülldeponie, überall
Essensreste in fester oder flüssiger Form, allenthalben Verwesung und
Plastikverpackung von Videos u.ä. Man sieht, hier wird reichlich konsumiert. In
einem alten Märchen wäre man in der Höhle eines Drachen angelangt, der
Jungfrauen verschlingt und Knochen von getöteten Helden herumliegen lässt. Hier
ist es der Moloch des Konsums, personifiziert in der Form einer Prostituierten.
Die Wörter Politik und Prostitution scheinen dabei wesentlich verbunden zu
sein. Transzendenz existiert in der Welt dieser Erzählung nicht mehr. Hier
regiert der Gott des Konsums und als Götze der Mythos des Nationalen, der
jedoch unergründlich, unzugänglich zu sein scheint. Das Nationale hat keine
fassbare Substanz. Es hätte irgendwie nach bestimmten Gesetzmäßigkeiten im
Raum der zwischenmenschlichen Versprachlichung, also im politischen Raum des
Miteinandersprechendseins entstehen sollen. Dabei bleibt verborgen, zu welchem
guten Zweck dies passieren sollte. Es entsteht nichts Verbindendes daraus, kein
gesellschaftlicher Konsens, nichts Positives überhaupt. In keiner Szene kommt
es zu einem konstruktiven Dialog, zu Auseinandersetzung durch Argumente. Die
Personen sprechen überhaupt nicht miteinander, eher gegeneinander. Sie befinden
sich zwar im selben Raum, doch ist jede in den eigenen Nationalwahn eingeschlossen.
Von einem Agon der Pluralität kann nicht gesprochen werden. Für ein konstruktives
Gegeneinander, in dem „‚thymotische Tugenden’ wie Empörung, Stolz, Zorn oder
Tapferkeit” (https://derstandard.at/2000056794055/Von-der-entkoffeinierten-Sexualitaet-zur-entpolitisierten-Politik, Mai 2017), die Maani hervorhebt als (Maani: Mai 2017) „Tugenden, ohne
die politisches Engagement, Kampf- und Opferbereitschaft nicht zu haben sind” (Maani:
Mai 2017), fehlt vor allem zuerst der Respekt für den Gegner, der ein
wesentliches Attribut des thymotischen Helden ist. Ohne Respekt für den Gegner
gibt es dann auch keinen Respekt für sich selbst. Die Subjekte unserer
Erzählung, vor allem natürlich der Icherzähler, erfüllen insofern auch nicht
die Bedingungen für ein politisches Subjekt. Das Politische bleibt
unrealisiert. Wenn solches schon nicht im öffentlichen Raum geschieht, so doch
wenigstens im privaten, könnte man meinen. Doch wird auch dieser entheiligt;
das Miteinandersprechendsein wird ersetzt durch Befriedigung der Triebe, wobei
das Triebhafte selbst reduziert wird auf das Ausgefallene, Bizarre. Um den
Schein geht es, nicht um die Sache selbst, und dieser Schein, das Scheinbare,
wird als heilig empfunden. Wir können sogar sagen, es geht überhaupt nur um die
Nachahmung, Mimesis eines Orgasmus. Der Icherzähler und Louise verstehen sich
nicht als Menschen, die im gemeinsamen (vorpolitischen) Raum sinngebend das
Leben versprachlichen. Sie verstehen sich vielmehr als Getriebene, Süchtige,
als Beherrschte, nicht Herrscher des eigenen Lebens, die derselben Droge
nachjagen. Das ist ihr gesellschaftlicher Konsens, obwohl sie auf dieser
Grundlage anscheinend höchst erfolgreich die Go-Go-Bar betreiben. Auf der
Grundlage dieser Reduktion des Menschen auf das Narzistische, Triebhafte,
Pathologische entsteht denn auch die nationale Zugehörigkeit, das
Österreichische.
Der
politische Aspekt der Subjektivität in literarischen Räumen bei Sama Maani
zeigt sich als dysfunktional, die Besessenheit von der nationalen Identität als
pathologischer Narzissmus, welcher die Persönlichkeit zerstört und den
Menschen auf das Triebhafte reduziert. Dieser Zustand ist spezifisch dem Geist
des Österreichischen gewidmet, im Allgemeinen jedoch auf die gesamte
Renaissance des Nationalen in Europa anwendbar. Ironisch dabei ist, dass
dieses nicht einmal einen vernünftigen Antagonismus innerhalb Europas zustande
bringt. Im neuen europäischen Antagonismus nationaler Identitäten wird es
keine Helden geben.
Matej
Šetinc
Fakultät
für Sozialwissenschaften,
Universität
Ljubljana
Slowenien
matej.setinc@guest.arnes.si
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