Mittwoch, 17. Februar 2021

Von der Bösartigkeit des Banalen (1)

Karte (des real existierenden) Teherans

Vor Jahren erteilte mir ein berühmter Schriftsteller bei Gelegenheit einer – amerikanischen Creative Writing Kursen nachempfundenen – Schreibwerkstatt einen Rüffel. Ich hatte ihn und andere Anwesende darauf hingewiesen, dass der Name Teheran in jenem Roman, an dem ich damals arbeitete, nicht für die real existierende Stadt gleichen Namens steht, sondern ein imaginäres Land bezeichnet, das mit dem real existierenden Iran zwar einiges gemein hat, mit diesem aber nicht ident ist. Es gehe nicht an, meinte jener Berühmte, dass ein Autor seinem Text, gleichsam als lebender Beipackzettel, nachlaufe, um seinen Leserinnen und Lesern zu erklären, wie sie ihn zu verstehen hätten.

Der Rüffel schien mehr als berechtigt. Ich fühlte mich beschämt und beschädigt. Was mich aber nicht daran hinderte, die Versuche, meine literarischen Texte meinen (potentiellen) Leserinnen und Lesern zu erklären, weiterzuführen. Zu den mündlichen kamen schriftliche – in gesellschaftskritische Texte über Identitätspolitik, „Migrantenliteratur“ etc. eingefügte – Erklärungsversuche meiner literarischen Produktion.

 

Neulich trieb ich meine Erklärungssucht auf die Spitze. Bei einer Online-Lesung für das Literaturhaus Salzburg1 las ich – noch vor der Lesung einer Passage aus meinem Roman Teheran Wunderland2 – eine Stelle aus einem Essay3, über die fiktive Begegnung mit einer Leserin, die überzeugt ist, dass ein frauenfeindliches Gedicht aus der Feder einer der Romanfiguren die frauenfeindliche Position von dessen Autor wiedergeben würde. Also meine. Sowie über den Versuch mich (unter Verweis auf den Unterschied zwischen der Person und den Positionen des Autors und der Figuren eines Romans) zu rechtfertigen.

Die Erklärungen zu einem Roman, sprich zu einem fiktiven Text, nahmen hier also ihrerseits die Gestalt einer Fiktion an. Einer Fiktion, die allerdings auf irritierende reale Erfahrungen basierte. Zudem enthielt auch diese Passage aus dem Essay den Hinweis, dass Teheran in Teheran Wunderland genauso wenig die real existierende Stadt gleichen Namens bezeichnet wie jenes Teheran, das in meinem Roman Ungläubig4 vorkommt und dessenthalben ich mir seinerzeit den Rüffel jenes Berühmten eingehandelt hatte.

 

Unmittelbar nach der Lesung machte ich eine weitere irritierende Erfahrung – auf Facebook. Ein flüchtiger Bekannter aus (dem real existierenden) Teheran, der, soweit ich mich erinnere, dortselbst und in Wien Soziologie und Englische Literatur studiert hat, zeigte sich über die vorgelesene Romanpassage irritiert, ja geradezu empört. Darin ist von einem Umerziehungslager für junge, aus der Sicht der Machthaber des „Teheraner Regimes“ politisch irregeleitete Menschen die Rede, in dem geradezu paradiesische Zustände herrschen. Oder zu herrschen scheinen. Wie können Sie, schrieb mein Teheraner Landsmann, solch ein „positives, liberales Bild“ vom Regime im Iran zeichnen? Gerade Sie, dessen Stimme – im Unterschied zu der Stimme der meisten anderen Iraner hier – in der Öffentlichkeit gehört wird, sollten sich bemühen, ihre Leserinnen und Leser im deutschsprachigen Raum über die wahren Zustände im Iran aufzuklären.

 

Ich antwortete, dass ich vor Beginn der eigentlichen Lesung ohnehin erklärt hätte, dass Teheran in Teheran Wunderland weder mit dem realen Teheran noch mit dem Iran identisch sei, auch wenn es zwischen dem ersteren und den beiden letzteren Gemeinsamkeiten gäbe. Dass es sich um einen Roman und nicht um einen Reise- oder Tatsachenbericht handle, dass ... in diesem Moment fiel mir der Rüffel jenes Schriftstellers ein, Robert Schindel ist sein Name (keine Ahnung, warum ich ihn nicht gleich genannt habe. Vermutlich verhalte ich mich als ehemaliger Psychoanalytiker auch bei Berichten über Personen, die keine AnalysandInnen waren, so, als würde ich einer Schweigepflicht unterliegen) – und ich musste schmunzeln. „Bisher dachte ich“, dachte ich, „ich darf es ihnen nicht erklären. Sie sollen es selbst verstehen. Jetzt merke ich: Sie verstehen es auch dann nicht, wenn ich es ihnen erkläre.“

 

Tags darauf merkte ich, wie sehr mich jene Facebook-Kontroverse verärgert hatte und im Geiste gab ich den Kommentaren meines Landsmanns – angelehnt an eine Passage in einer Vorlesung von Adorno, in der er Hannah Arendts Rede von der Banalität des Bösen chiastisch5 paraphrasiert und von der Bösartigkeit des Banalen spricht6 – die Überschrift Von der Bösartigkeit des Banalen.

Genauer betrachtet, waren aber die Kommentare des Teheraner Anglisten, die mich „böse“ gemacht hatten (daher Von der Bösartigkeit des Banalen) und die ihnen zugrundeliegende Voraussetzung (die Verwechslung der Schilderung eines surrealen Umerziehungslagers in einem Roman mit einem Tatsachenbericht über die reale Situation im Iran) keineswegs banal, sondern absurd – zumal ein Experte für (englischsprachige) Literatur diesem Missverständnis erlegen war. Banal war vielmehr meine Reaktion auf die Kommentare meines Landsmanns, hatte ich mich doch gezwungen gesehen, letztere (sinngemäß) mit der höchst banalen Aussage zu kontern, ein Roman sei ein Roman und kein Tatsachenbericht.

 

Die Banalität ist hier also die Folge der Absurdität und es stellt sich die Frage, ob der Zusammenhang zwischen letzterem und ersterem über jene kleine Facebook-Kontroverse hinaus nicht auch andere aktuelle Diskurse charakterisiert. Könnte es sein, fragte ich mich, dass immer absurdere kulturelle, gesellschaftliche und politische Diskurse7 einen immer banaleren Gegendiskurs provozieren?

 

wird fortgesetzt

 

1 https://www.facebook.com/watch/live/?v=248121196255337&ref=watch_permalink

 

2 https://www.drava.at/buch/teheran-wunderland/

 

3 https://www.derstandard.at/story/2000090533413/sama-maani-die-krux-mit-der-migrantenliteratur

 

4 https://www.drava.at/buch/unglaubig/

 

5 Der Chiasmus bezeichnet eine rhetorische Figur, bei der Wörter oder Satzteile überkreuzt werden. Ein Stilmittel, dessen sich etwa Marx in Anlehnung an Hegel gerne, aber nicht immer glücklich bediente: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen“.

 

6 Die Passage konnte ich später nicht wiederfinden und wäre meinen LeserInnen für einen diesbezüglichen Hinweis sehr dankbar.

 

7 Dass die aktuellen gesellschaftlichen Diskurse immer absurdere Züge annehmen, werde ich im Folgenden exemplarisch zu zeigen versuchen.

Keine Kommentare: