Hans Christian Andersen |
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In Hans Christian Andersens berühmtem Kunstmärchen Des Kaisers neue Kleider wird die Geschichte eines Kaisers erzählt, der „so ungeheuer viel auf neue Kleider hielt, daß er all sein Geld dafür ausgab, um recht geputzt zu sein [...] In der großen Stadt, in welcher er wohnte, ging es sehr munter zu; an jedem Tage kamen viele Fremde an. Eines Tages kamen auch zwei Betrüger; sie gaben sich für Weber aus und sagten, daß sie das schönste Zeug, das man sich denken könne, zu weben verständen. Die Farben und das Muster wären nicht allein ungewöhnlich schön, sondern die Kleider, die von dem Zeuge genäht würden, besäßen die wunderbare Eigenschaft, daß sie für jeden Menschen unsichtbar wären, der nicht für sein Amt tauge oder der unverzeihlich dumm sei.“13
Wir wissen, wie die Geschichte weitergeht und dass niemand, kein Erwachsener jedenfalls, indem er ausruft: „Der Kaiser ist nackt!“, den Eindruck erwecken möchte, dass er „für sein Amt nicht tauge“ oder gar „unverzeihlich dumm“ sei. Ich will es auch nicht. Weshalb ich beschlossen habe, nicht mehr über den Islam zu reden.
Warum ich über den Islam nicht mehr rede
Der Titel einer meiner Essays lautet: Warum wir über den Islam nicht reden können14 und ich war gelegentlich mit dem Vorwurf konfrontiert, dass diese Frage in jenem Essay nicht oder nicht befriedigend beantwortet wird. Inzwischen ist mir aber immerhin gelungen, auf die Frage, warum ich über den Islam nicht (mehr) rede, eine befriedigende Antwort zu finden.
Unlängst war ich – als Vortragender respektive als Podiumsdiskutant – zu zwei Veranstaltungen eingeladen, die eine kritische Analyse der aktuellen Islamdebatten zum Ziel hatten. In den Veranstaltungstiteln war aber nicht vom Islam die Rede, sondern vom Islamismus respektive vom politischen Islam, so dass ich – wie immer, wenn vom politischen Islam oder vom Islamismus die Rede ist und nicht einfach vom Islam – versucht war, Einspruch zu erheben. Dieser Impuls mischt sich aber jedesmal mit dem Gegenimpuls, mich für diesen Einspruch zu rechtfertigen. Als wäre es unsinnig (und nicht selbstverständlich), zu fordern, dass wir, wenn wir etwa über das Verhältnis der Linken zum sogenannten Islamismus nachdenken und reden wollen, zunächst einmal über das Verhältnis der Linken zum Islam nachdenken und reden sollten. Als wäre es, anders gesagt, nicht selbstverständlich, wenn es um den Islam geht, vom Islam zu reden – und nicht vom Islamismus oder dem sogenannten politischen Islam.
Und genau an dieser Stelle, an welcher der dominierende – vor allem, aber nicht bloß linksliberale – Islamdiskurs sich weigert, wenn es um den Islam geht, vom Islam zu reden, etwa indem er sagt: Die Situation der Frauen im Islam hat nichts mit dem Islam zu tun, sondern mit dem Patriarchat, und der Kritiker dieses absurden Diskurses entgegnet: Ich denke aber schon, dass die Situation der Frauen im Islam mit dem Islam zu tun hat. Oder noch einmal anders, dass der Islam etwas mit dem Islam zu tun hat – genau an dieser Stelle schnappt die Falle der Bösartigkeit des Banalen wieder zu. Zumal das Absurde dieser und ähnlicher Aussagen häufig nicht als Absurdes wahrgenommen wird – vielen Zeitgenossen scheint es ja als besonders differenziert und sophistcated zu gelten, im erwähnten Zusammenhang vom Patriarchat zu reden und nicht einfach vom Islam – während das Offensichtliche banal erscheint, wenn nicht gar „unverzeihlich dumm“ und der sich eines solch dummen Arguments Bedienende als jemand, der „für sein Amt“ – etwa als Essayist und Schriftsteller – „nicht taugt“.
Sollte der Schriftsteller aber fortfahren – über die Jahre und bis ans Ende seines Lebens fortfahren – solche und ähnliche Debatten zu führen, und der Absurdität solcherart entgegenzutreten, kann es sich begeben, dass bei seinem Begräbnis jemand eine Grabrede hält, in der es heißt: Er hat sein Leben damit verbracht, zu verkünden, dass der Islam etwas mit dem Islam zu tun hat. Na Bravo.
wird (vielleicht) fortgesetzt
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14 Sama Maani, Warum wir über den Islam nicht reden können. In ders., Respektverweigerung. Warum wir fremde Kulturen nicht respektieren sollten. Und die eigene auch nicht, Klagenfurt 2015, S.7