Sonntag, 12. Mai 2013

Warum uns Israel erregt (3)


Mashhad

Gottes Gerechtigkeit

Jene Unfähigkeit meines Vorstellungsvermögens war mir vor dem Gespräch über Goldstone zwar nicht in aller Klarheit bewußt – unbekannt war sie mir aber nicht. Meine erste Bekanntschaft mit jener Unfähigkeit verdanke ich einem Bekannten aus dem Iran. Einem älteren Herren, belesen, distinguiert, politisch engagiert, der als Student, im Wien der 1960er und 70er, gegen den Schah gekämpft hatte. Heute bekämpft er die Islamische Republik. Ich nenne ihn im folgenden den Distinguierten. Während des Libanonkriegs, 2006, hatte ich mit dem Distinguierten, im selben Café, in dem mich U. über den Goldstone-Report aufklären sollte, eine Israel-Kontroverse. Tags darauf schickte er mir einen link zu einer Dokumentation über den Zionismus. The Zionist Story, so der Titel des Films, konfrontierte mich erstmals - wenn auch nur vage - mit meiner Unfähigkeit, Juden als (Kriegs)verbrecher zu imaginieren. Der Film enthält aber auch manches andere, das zum Auslöser weiterer, immer "kontroverserer" Kontroversen mit dem Distinguierten wurde. Etwa die Feststellung: "Since the very beginning of Islam Jews and Moslems lived together in an unprecedented religious an cultural harmony [...] It all seemed to be going just fine - till the twentieth century."

Der Satz irritierte mich. Mein Vater, der aus der iranischen Stadt Mashhad stammt, hatte mir wiederholt vom sogenannten Allahdad erzählt, ein Ereignis des Jahres 1839, das im Gedächtnis der Bewohner Maschhads noch immer lebendig ist. In der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts hatte Nadir Schah, der „Napoleon Persiens“, zahlreiche jüdische Kaufmannsfamilien in Maschhad ansiedeln lassen. Davor war es Juden verboten gewesen, Mashhad, eine den Schiiten heilige Stadt, auch nur zu betreten. Nach der Ermordung Nadir Schahs, 1747, wurde es den Juden in Mashhad untersagt, bestimmte Bezirke der Stadt zu betreten, und sie waren wieder gezwungen, Abzeichen zu tragen, die sie als Juden kennzeichneten. 1839 kam es dann, am Tag vor dem Pessachfest, zur Katastrophe. Der Mob stürmte jüdische Häuser, steckte Synagogen und Schriftrollen in Brand, und tötete Dutzende Juden. Der Großteil der Überlebenden wurde gezwungen, den Islam anzunehmen, blieb aber, ähnlich den Marranen auf der iberischen Halbinsel, dem Judentum insgeheim treu.

Das Massaker und die darauffolgende Zwangsbekehrung wurden als Allahdad, bekannt - wörtlich "Gottes Gerechtigkeit", in der Regel mit "Tag der Gerechtigkeit Gottes" übersetzt.

Daß Moslems und Juden „since the very beginning of Islam in an unprecedented religious and cultural harmony” zusammengelebt haben sollten, irritierte mich also. Wie mich seinerzeit übrigens auch die Allahdad-Erzählungen des Vaters irritiert hatten. Damals glaubte ich zu wissen, daß Judenpogrome eine exklusive Spezialität des christlichen Europas gewesen seien, und es in „Ländern des Islams“ so etwas wie Antisemitismus  (korrekter müßte man hier von Judenfeindlichkeit sprechen) nicht gegeben hatte. Ich begann mich - lange vor The Zionist Story und meinen ersten Israel-Kontroversen mit dem Distinguierten - intensiver mit dem Thema zu befassen. Und siehe da: Wikipedia gab mir recht. Was ich im Internet fand, läßt sich in etwa so zusammenfassen:

Erstens: Es gab (gibt) keine Feindschaft gegen Juden im Islam.

Zweitens: Sollte es diese doch geben (gegeben haben), war (ist) sie, verglichen mit der Feindschaft gegen Juden im christlichen Europa, „nicht weiter schlimm“.

Drittens: Sollte es Feindschaft gegen Juden im Islam geben (gegeben haben), und sollte sie tatsächlich „schlimm“ (gewesen) sein, war (ist) sie ein Import aus dem Westen – und nicht urprünglich-islamisch.

Viertens: Sollte es Feindschaft gegen Juden im Islam geben, und sollte sie tatsächlich „schlimm“ sein, ist sie die Folge des israelisch-arabischen Konflikts.

wird fortgesetzt

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