Granada |
Die Absurdität von „erstens“ bis „viertens“ wurde mir erst klar, als ich mich über Wikipedia hinaus wagte. Nachträglich gesehen, hätten jedoch schon die zahlreichen Widersprüche in den einschlägigen Wikipedia-Seiten genügen müssen, um ernsthafte Zweifel an der Haltbarkeit von „erstens“ bis „viertens“ in mir zu erwecken.
Auf der Wikipedia-Seite Islam and Antisemitism findet sich etwa die Behauptung, die Feindschaft gegen Juden in islamischen Ländern „arose relatively recently, in the 19th century, against the backdrop of Jewish and Arab nationalism, and was imported into the Arab world primarily by nationalistically minded Christian Arabs and only subsequently was ‘islamized’” (Hervorhebung von mir).
Im übernächsten Absatz wird Allahdad erwähnt. Daß an jenem „Tag der Gerechtigkeit Gottes“ ein Massaker stattfand, wird aber - seltsam genug - unterschlagen („It was only by forcible conversion, that a massacre was averted“). Vor allem bleibt aber unklar, wie „jüdischer“ oder „arabischer Nationalismus“, die es zu jenem Zeitpunkt nicht gab, oder (christliche) Araber, bei einem Pogrom des Jahres 1839 im Osten Irans eine Rolle gespielt haben könnten.
Daß hier – wie häufig in der einschlägigen Literatur – Araber und Islam sowie Iraner und Araber gleichgesetzt werden, erscheint demgegenüber fast vernachlässigbar.
Aber ist Allahdad für den Umgang des historischen Islams mit seinen Juden repräsentativ? Sollten wir unseren Blick, statt auf jenes, möglicherweise singuläres Ereignis, nicht auf „positive“ historische Beispiele für das Zusammenleben von Moslems und Juden richten? Zum Beispiel auf das islamisch beherrschte Spanien. Dieses gilt als Muster multireligiöser Toleranz. Tatsächlich herrschte in Spanien, etwa in der zweiten Hälfte des 10. Jahrhunderts, unter den Kalifen Abdurrahman III. und Al-Hakam II., eine Atmosphäre weitgehender Toleranz gegenüber Juden und Christen - Künste und Wissenschaften erlebten eine Blüte.
Allerdings erfahren wir, auf der selben Wikipedia-Seite, in der sich die Behauptung findet, die Feindschaft gegen Juden in islamischen Ländern sei ein modernes, aus Europa importiertes Phänomen, von Judenpogromen im Cordoba und im Granada des 11. Jahrhunderts. In Granada wurde der jüdische Minister Joseph ibn-Naghrela zusammen mit 4000 anderen Juden massakriert. Im 12. Jahrhundert stellten die Herrscher der Almohad–Dynastie die spanischen Juden vor die Wahl, zum Islam zu konvertieren oder das Land zu verlassen. Der Arztphilosoph Maimonides tat beides. Er konvertierte zum Islam, floh nach Ägypten und bekannte sich dort wieder zum Judentum - woraufhin er der Apostasie (des Abfalls vom Islam) angeklagt, nur knapp dem Tod entrann.
Allahdad, Granada und Cordoba, die Vertreibungen und Zwangsbekehrungen unter den Almohaden waren keine singulären oder atypischen Ereignisse. Judenfeindliche Haltungen und Handlungen im Dar al-Islam (in den Ländern unter islamischer Herrschaft) waren weder auf das Spanien des 11. und 12. noch auf den Iran des 19. Jahrhunderts beschränkt.
Zwischen der Judenfeindlickeit im christlichen Europa und jener im Dar al-Islam gab es freilich Differenzen. Anders als im traditionellen Christentum bezichtigt der Islam die Juden nicht des Gottesmordes. Die Position traditioneller islamischer Mehrheitsgesellschaften gegenüber Juden könnte man mit dem Orientalisten Bernard Lewis als eine der Verachtung bezeichnen (Bernard Lewis: Juden in der islamischen Welt. München 2004). Die folgende Beschreibung der erniedrigenden Einschränkungen, denen Juden im Iran unterworfen waren, und die Lewis als Ausdruck eben jener Verachtung auffassen würde, stammt vom britischen Schriftsteller und Staatsmann Lord Curzon. Ähnliche Vorschriften existierten in fast allen vom Islam beherrschten Gesellschaften:
Usually compelled to live apart in a ghetto, or separate quarter of the towns, they have from time immemorial suffered from disabilities of occupation, dress, and habits which have marked them out as social pariahs from their fellow creatures. The majority of Jews in Persia are engaged […] in professions to which is attached no great respect. They rarely attain to a leading mercantile position. In Isfahan […] they are not permitted to wear the kolah or Persian head-dress, to have shops in the bazaar, to build the walls of their houses as high as a Moslem neighbour’s, or to ride in the streets. […] In Shiraz they are very badly off. At Bushire they are prosperous and free from persecution. As soon, however, as any outburst of bigotry takes place in Persia and elsewhere the Jews are apt to be the first victims.
(George Nathaniel Curzon: Persia and the Persian Question. London 1892: S.510-511)
Verachtung als ausschließliches Erklärungsmodell greift aber zu kurz. 717, ein halbes Jahrtausend vor der Einführung der ersten Judenzeichen im christlichen Europa, erließ der Umayyaden-Kalif Omar II. Bekleidungsvorschriften für seine jüdischen Untertanen. An diese und andere, später eingeführte Kleiderordnungen mußten sich häufig auch Christen halten - Christen im Iran des 9. Jahrhunderts mußten blaue, Juden gelbe Gürtel tragen. Oft betraf die Kennzeichnungpflicht aber ausschließlich Juden. All die verschiedenen, von Periode zu Periode und Region zu Region variierenden Bekleidungsregeln scheinen aber nicht bloß Ausdruck der von der moselmischen Mehrheit empfundenen Verachtung gegenüber Juden (und Christen) gewesen zu sein. Sie hatten auch - und vielleicht vor allem - die Funktion, Juden (häufig auch Christen) zu kennzeichnen, um sie meiden zu können. Juden galten, zumindest im schiitischen Islam, als unrein. Vor ihnen hatte der Gläubige eine Art Tabu-Angst. Kam es zu einer Berührung, mußte er sich, nicht selten durch komplizierte Rituale, wieder reinigen.
Wir würden auch einem Mißverständnis unterliegen, wenn wir das komplizierte System der beruflichen, sozialen, baulichen usw. Einschränkungen, der Bekleidungs- und Kennzeichnungsregeln als äußeren Ausdruck einer in den Augen der moslemischen Mehrheit bereits vorhandenen Minderwertigkeit der Juden begreifen würden - und nicht als eine Veranstaltung, um jene soziale Minderwertigkeit überhaupt erst herzustellen.
Das Gefühl der Verachtung kann sich, wenn sich dessen Objekt nicht mehr als verachtungswürdig erweist, verwandeln. Etwa dann, wenn sich jenes Objekt nicht mehr als unterlegen und schwach zeigt, sondern stark und überlegen. Zum Beispiel in - mörderischen - Hass. So geschehen im Falle Joseph ibn-Naghrelas, jenes jüdischen Ministers des moslemischen Berber-König Badis al-Muzaffar im Granada des 11. Jahrhunderts.
Und so geschehen im 20. - und 21. - Jahrhundert im Falle Israels.
wird fortgesetzt
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