Thomas Borup: Der Buchbinder |
Ich lese
keine Bücher. Im Unterschied zu Vater. D.h., daß ich schon lese. Zeitungen und
blogs. Im Internet. Und auch Filme. Filme kann man nicht lesen. Ich weiß. Ich
lese nicht, aber ich mag den Geruch von Bibliotheken und Büchern. Zumal aus der
Zeit vor der Revolution. Unter dem Kaiser. Das Material ihrer Einbände
verströmt einen Kindheitsgeruch. Da las ich noch. Im Lesesaal trinke ich
Kaffeeautomaten-Kaffee, aus Plastikbechern, sitzend oder stehend (ist übrigens
sehr gut). Mitunter rauche ich. Nicht mehr als fünf am Tag. Vater las, wo und wann
immer er konnte. Würde ich der Generation des Vaters angehören, würde ich auch
lesen. Als Kind habe ich. Aber seit der Revolution nicht mehr."
Genug geschwaffelt, will ich sagen. Was ist passiert, frage ich (der
Analytiker). Ich würge den
Gefängnisarzt nicht mehr. Längst nicht. Und sitze nicht mehr seinem Bauch auf.
Was ist passiert meint: Daß Du nicht mehr liest. Zumal seit der Revolution. Wo man nach dieser Revolution doch erst recht. Lesen sollte.
Du
kennst Adorno, LeserIn? Nein? Nur Benjamin? Irgendwo in, resp. am Anfang
der Negativen Dialektik sagt Adorno (sehr
sinngemäß, wenn Du es genau wissen willst, schlag nach): Nachdem die
Philosophie die Welt nicht verändern hat können (bezieht sich natürlich auf
Marx: Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert usw.),
nachdem die Philosophie also die Welt nicht verändern hat können, gilt es jetzt
nachzudenken.
Ich aber
sage Euch, LeserIn: Gerade weil die
Revolution Teheran sehr wohl verändern
hat können, und wie, gilt es jetzt,
für uns in Teheran, nachzudenken. Nachdem wir aber in Teheran nicht in der Lage
sind, zu denken, machen wir uns nichts vor, heißt für uns nachdenken:
Lesen!
Was ist passiert? meint: Daß Du nicht mehr liest. Aber der
Gefängnisarzt, der mich mißversteht, bezieht
Was ist passiert?
auf den Übersetzer,
und fährt fort zu berichten.
wird fortgesetzt
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