In den 1980er
Jahren wurden in den Gefängnissen der Islamischen Republik Iran zahlreiche
junge Frauen – allesamt politische
Gefangene – vor ihrer Exekution vergewaltigt. Die Vergewaltigungen hatten einen
theologischen Hintergrund. Nach
islamischer Überlieferung gelangen Jungfrauen, die sterben, ins Paradies. Die
Vergewaltigungen sollten das verhindern. Um die Vergewaltigungen ihrerseits islam-rechtlich
zu legitimieren, zwang man die Frauen, knapp vor ihrer Exekution, mit einem
ihrer Wächter eine sogenannte Zeitehe einzugehen. In einigen Fällen erhielten
die Eltern der Exekutierten das Brautgeld1.
Die
Legitimierung der Vergewaltigungen via Zwangsverehelichung wäre allerdings vielleicht
gar nicht notwendig gewesen. Wie Ezzat Mossalanejad ausführt2, sehe der Koran zwar Strafen für außerehelichen
Geschlechtsverkehr – nicht jedoch (oder zumindest nicht explizit) für
Vergewaltigung vor. Zugleich gestatte er die sexuelle Versklavung ungläubiger weiblicher
Kriegsgefangener3. In der Islamischen Republik Iran werden (bestimmte)
politische Gefangene als Menschen betrachtet, „die gegen Gott Krieg führen“ (moharabe ba khoda). Dieser Logik folgend,
könnten - so Mossalanejad - weibliche politische Gefangene als Kriegsbeute angesehen
werden, deren „Versklavung“ - und ergo Vergewaltigung - im Sinne des Korans legitim
sei.
Wie auch immer. Was uns an
diesen düsteren Aspekten der islamischen Revolution hier interessieren sollte, ist, daß sie das gängige Argument, die
Islamisten - im Iran und anderswo - würden „den Islam bloß benützen“, in
Wahrheit ginge es nicht um den Islam, sondern um andere (machtpolitische,
ökonomische, „imperialistische“ etc.) Zwecke, in beeindruckender Weise ad
absurdum führen.
Hätten wir es
„lediglich“ mit Vergewaltigung zu tun, könnten Argumente wie die folgenden vielleicht Anspruch auf Gültigkeit erheben: „Es geht hier um ein machtpolitisches
Kalkül, das ‚mit dem Islam nichts zu tun’ hat4 - indem die
Machthaber selbst dafür sorgen, daß Informationen über die Vergewaltigungen an
die Öffentlichkeit gelangen, festigen sie ihre Machtposition durch die
Verbreitung von Angst und Schrecken“, oder: „Die Wächter 'mißbrauchen den
Islam', um ihre Gelüste zu befriedigen.“ etc. etc.
Hier geht es aber
offensichtlich um die Lösung eines kniffligen theologischen Dilemmas: Wie läßt
es sich verhindern, daß Frauen als Jungfrauen sterben, ohne gegen die Gesetze
der Religion zu verstoßen? Die für die Vergewaltigungen und Exekutionen
Verantwortlichen waren keine (oder nicht bloß) zynische Machtpolitiker - sondern
gläubige Moslems. Wären sie nichts als zynische
Machtpolitiker gewesen, wäre ihnen die Überlieferung, wonach Jungfrauen nach dem
Tod ins Paradies kommen, gleichgültig.
Fiel das Entsetzen
meines Freundes Kave in die Kategorie Noch-immer (wie kommt es, daß es in einem mitteleuropäischen
Land des 21. Jahrhunderts noch immer
so etwas wie Rassismus gibt) – so fällt unser Entsetzen über jene theologisch
motivierten Vergewaltigungen (oder jüngst über die Verbrechen des Islamischen
Staates im Irak und in Syrien) in die Kategorie Schon-wieder.
Wenn nicht als
völlig „jenseitig“ und bizarr, empfinden wir Phänomene wie jene
Vergewaltigungen oder den Islamischen Staat als erschreckend unzeitgemäß. Als hätte ein verrückter
Wissenschaftler urzeitliche Ungeheuer mittels Zeitmaschine in die Jetztzeit
gebracht – und auf die Menschheit losgelassen.
Spontan reagieren
wir auf solch erschreckende Anachronismen mit dem Impuls, sie ungeschehen machen
zu wollen - indem wir das Unzeitgemäße als zeitgemäß
zu denken versuchen.
wird fortgesetzt
1 Siehe z.B.:
http://www.amontazeri.com/farsi/Khaterat/html/1097.htm
Shahrooz Kave. With Revolutionary Rage an Rancor: A Preliminary Report on the 1988 Massaccre of Iran's Political Prisoners. Harvard Human Rights Journal. 2007, (20 vol), S. 231 und S. 239
Ahmadi Jaleh. Political Prisoner: Iran and Afghanistan. Encyclopedia of Women and Islamic Cultures: Vol. II, Familiy, Law and Politics. Suad Joseph (ed.), Leiden-Boston 2005, S. 556-567
2 Ezzat Mossallanejad in Haideh Moghissi (ed). Muslim Diaspora: Gender, Culture and Identity, Routledge 2006, S. 566 - 567
Shahrooz Kave. With Revolutionary Rage an Rancor: A Preliminary Report on the 1988 Massaccre of Iran's Political Prisoners. Harvard Human Rights Journal. 2007, (20 vol), S. 231 und S. 239
Ahmadi Jaleh. Political Prisoner: Iran and Afghanistan. Encyclopedia of Women and Islamic Cultures: Vol. II, Familiy, Law and Politics. Suad Joseph (ed.), Leiden-Boston 2005, S. 556-567
2 Ezzat Mossallanejad in Haideh Moghissi (ed). Muslim Diaspora: Gender, Culture and Identity, Routledge 2006, S. 566 - 567
3 „O Prophet, Wir erlauben dir deine
Gattinnen, denen du ihre Mitgift gabst und die Sklavinnen [...] von dem, was dir
Allah als Beute gab.“ Henning, Max: Der
Koran. Aus dem Arabischen übertragen, Stuttgart 1960, S. 406, Sure 33, Vers 50
4 Von der – berechtigten - Frage ob
„Islam“ und „Machtpolitik“ überhaupt ein einander ausschließendes Gegensatzpaar
bilden, wollen wir hier absehen. Diese Frage erhebt sich selbstverständlich auch
in Zusammenhang mit anderen Religionen, sollte aber nicht pauschal abgehandelt,
sondern in jedem einzelnen Fall gesondert untersucht werden.
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