Mittwoch, 10. Dezember 2014

Zizek in Teheran (87)



M2, in seinem überaus kommoden IKEA-Lounge-Sessel, schaut. Die Wand an. Die Wand und hat Tränen. In den Augen. Nach dem Tanz hat er hyperventiliert. Auf Teufel komm raus, daß mir Angst wurde. Gott - den es nicht gibt, der aber, erinnerst Du Dich?, nicht aufhört mich zu unterhalten – Gott also sei Dank, bin ich Mediziner. Aber
kein praktischer,
rein theoretischer: 

Hyperventilation (von altgriechisch hypér „über“ und lateinisch ventilare „fächeln“): Eine über den Bedarf gesteigerte Belüftung der Lunge, die mit einer Abnehme des CO2-Partialdrucks und einem pH-Anstieg einhergeht (respiratorische Alkalose). Eine Hyperventilation kann bei einer Störung der Atemregulation aus psychischen oder körperlichen Gründen, als Reaktion auf eine Unterversorgung Herz-Kreislauf-Erkrankungen oder bei kontrollierter Beatmug auftreten.

Stell Dir jetzt vor: Der Oberste Geheimpolizist stürbe in meinen fast hätte ich Gemächer gesagt, LeserIn. Lang würde ich das nicht überleben. Du aber auch nicht.

Wegschicken kann ich ihn aber auch nicht. Wo er schon da ist. Daß er zu mir gekommen ist, ist Urteil. Und Vollstreckung zugleich. M2 ist Richter. Und Vollstrecker.

Gegen welches Gesetz habe ich denn verstoßen?

Die Strafe - sagt Milan Kundera, daß bei Kafka – sucht die Schuld. Nicht, wie normalerweise der Fall, die Schuld die Strafe.

Dem Nehru kullern jedenfalls die Tränen. Aus den Augen. Erst zögernd, wie vorhin, die Zuckungen beim Tanz. Jetzt stärker. Und stärker.

Der Islam, stammelt er. Der Islam.

Ist das jetzt schon politisch unkorrekt (das „Der Islam, der Islam“)? Beziehungsweise rassistisch? Ist es, komm, LeserIn, ich will es wissen. Ist es rassistisch, über den Islam zu reden – oder über den Islam zu schweigen?

Verstehst Du nicht.

I know.

Kann ich jetzt weiter? Schreiben?

Der Islam, stammelt M2, aka Nehru, der Islam. Ist mir wurscht. Dabei bin ich der Gläubigste aller Gläubigen, glaube mir. In ganz Teheran.

Der Oberste Geheimpolizist. Der Gläubigste aller Gläubigen. In ganz Teheran (sagt jetzt nicht er, sondern denke ich).

Die folgende Passage des Romans ist so wichtig, daß ich ihm einen Titel voranstelle:


Die Erschütterung des Glaubens

Haben Sie schon mal geglaubt?, fragt Nehru. Auf einmal per Sie.

Ja!, will ich sagen. Ist aber ein andere Geschichte.

Haben Sie? Ich meine, richtig geglaubt? Und dann hat man Ihren Glauben erschüttert? Glauben Sie an Psychoanalyse?

Sagt alles der Nehru.

Psychoanalytiker glauben nicht an Psychoanalyse, sagt Zizek, der herewith zum zweiten Mal erwähnt sei. Wie es um den Glauben, so Zizek - zur Dritten - heutzutage überhaupt seltsam bestellt sei. Alle zieren sich.

Gretchen:
Glaubst Du an Gott?

Faust:
Mein Liebchen, wer darf sagen:
„Ich glaub an Gott?“
Magst Priester oder Weise fragen,
Und ihre Antwort scheint nur Spott

Gretchen:
So glaubst Du nicht?

Faust:
Mißhör mich nicht, du holdes Angesicht!
Wer darf ihn nennen?
Und wer bekennen:
„Ich glaub ihn!“?
Wer empfinden,
Und sich unterwinden
Zu sagen: „Ich glaub ihn nicht“?

So wie weiland Faust, der Erste. Noch einmal. So wenig wie weiland Faust der Erste, würde heute jemand sagen: Hier stehe ich. Und glaube. Und basta. Oder: Hier stehe ich. Und glaube nicht. Und basta. Nicht nur was den eigenen - sondern auch, was den Glauben der Anderen betrifft.

wird fortgesetzt 

Keine Kommentare: