Riad, Saudi-Arabien |
Unbehagen an der Zivilisation, an der Moderne oder am
Kapitalismus als Motive hinter dem Wunsch, an „das Gute im Islam“ glauben zu
können, konfrontiert uns mit einer weiteren Absurdität: Als Gegenentwurf gegen
Zivilisation, Moderne oder Kapitalismus kommt der Islam nicht in Frage. Zum
einen sind Gesellschaften mit islamischer Bevölkerungsmehrheit natürlich nicht
„unzivilisiert“. Zum anderen sind sie weder von der Moderne verschont geblieben
– noch vom Kapitalismus. Im
Gegenteil.
In zwei der
wichtigsten – und untereinander durchaus unterschiedlichen - islamisch
geprägten Gesellschaften, im Königreich Saudi-Arabien und in der Islamischen
Republik Iran, werden Politik, Wirtschaft und Gesellschaft oft bis ins kleinste
Detail von der sunnitisch-wahhabitischen bzw. von der schiitischen Richtung des
Islam bestimmt und gestaltet.
Die politische,
gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation dieser beiden Länder hat daher „sehr
viel mit dem Islam zu tun“, so daß der bei Kritik an problematischen Aspekten islamisch
geprägter Gesellschaften von modernen, den Islam respektierenden Subjekten
häufig verwendete Einwand „Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun“ hier nicht
in Anschlag gebracht werden kann.
Nehmen wir an,
es handle sich bei jenem Unbehagen unseres modernen, den Islam
respektierenden Subjekts um ein Unbehagen am Kapitalismus, das sich etwa an der
Kategorie „Ausbeutung“ festmachen ließe – dann müßte ihn die Situation in einem
Land wie Saudi-Arabien weit unbehaglicher stimmen als jene in den kapitalistischen Ländern des
Westens.
In
Saudi-Arabien sind, laut Anmesty International, Streiks und Gewerkschaften
genauso verboten wie Tarifverhandlungen. „Das Recht auf Versammlungsfreiheit
und das Recht, sich in Bezug auf Arbeitsbedingungen und Löhne zu organisieren,
wird nicht gewährt. Wer es dennoch versucht, wird entlassen, verhaftet – oder
im Falle von GastarbeiterInnen [...] ausgewiesen“ (1)
Sechzig bis
achtzig Prozent aller Arbeitnehmer in Saudi-Arabien - und an die 90 Prozent (2)
aller in der in der Privatwirtschaft Tätigen - sind Ausländer. Ihre Lebenssituation
kann je nach Herkunft beträchtlich variieren. Während die wenigen Experten aus
westlichen Industrieländern eine privilegierte Stellung einnehmen, unterliegen zehntausende
Lehrer, Ärzte, Apotheker und Krankenschwester aus dem benachbarten arabischen Ausland
strengen Bestimmungen. So ist es ihnen beispielsweise nicht erlaubt, den Bezirk
oder die nähere Umgebung der Stadt, in dem/der sie arbeiten, zu verlassen.
Die, so Anmesty,
„rechtloseste und gefährdetste“ Gruppe bilden jedoch Fremdarbeiter
aus armen asiatischen oder afrikanischen Ländern, die für einfache, schlecht
bezahlte Arbeiten eingesetzt werden - als Teaboys, Putzpersonal, Packer,
Müllmänner, Straßenkehrer oder als Hauspersonal. Die meist ungelernten Arbeiter(innen)
werden von Agenturen nach Saudi- Arabien
vermittelt, und einem Sponsor zugeteilt, welcher für die Erteilung der
Arbeitsgenehmigung sorgt, und in aller Regel mit dem Arbeitgeber identisch ist.
Die Lebenssituation dieser dritten und größten Gruppe von Fremdarbeitern bezeichnet
Anmesty als „moderne Form der Sklaverei“: Die Arbeiter(innen) seien
„den Sponsoren buchstäblich ausgeliefert [...], können ohne Zustimmung des
Sponsors weder den Arbeitgeber noch die Unterkunft noch den Wohnort wechseln [und
auch nicht] in ihre Heimat zurückkehren, da die Sponsoren üblicherweise die
Pässe der GastarbeiterInnen einbehalten [...] Die Arbeitszeiten betragen häufig
zwölf bis vierzehn Stunden am Tag. Urlaub wird in den ersten beiden Jahren
nicht gewährt. Nur der Freitag ist frei. Die Bezahlung ist [...] gering.“ (3)
Weibliche Haushaltshilfen
seien besonders gefährdet. Sie würden häufig „von der Familie des Arbeitgebers
hemmungslos ausgenutzt und [...] mißbraucht, eingesperrt [...] körperlich
mißhandelt und vergewaltigt.“ (4)
wird fortgesetzt
(1) http://gewerkschafterinnen.Anmesty.at/saudi/
(2) Stand 2011 - siehe:
http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-01/saudi-arabien-wirtschaft-abdullah-salman
(3) http://gewerkschafterinnen.Anmesty.at/saudi/
(4) Ebda.
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