Mittwoch, 13. Mai 2015

Tolerieren, Respektieren, Glauben. Warum wir glauben - und es nicht wissen (4)


Riad, Saudi-Arabien

Unbehagen an der Zivilisation, an der Moderne oder am Kapitalismus als Motive hinter dem Wunsch, an „das Gute im Islam“ glauben zu können, konfrontiert uns mit einer weiteren Absurdität: Als Gegenentwurf gegen Zivilisation, Moderne oder Kapitalismus kommt der Islam nicht in Frage. Zum einen sind Gesellschaften mit islamischer Bevölkerungsmehrheit natürlich nicht „unzivilisiert“. Zum anderen sind sie weder von der Moderne verschont geblieben – noch vom Kapitalismus. Im Gegenteil.

In zwei der wichtigsten – und untereinander durchaus unterschiedlichen - islamisch geprägten Gesellschaften, im Königreich Saudi-Arabien und in der Islamischen Republik Iran, werden Politik, Wirtschaft und Gesellschaft oft bis ins kleinste Detail von der sunnitisch-wahhabitischen bzw. von der schiitischen Richtung des Islam bestimmt und gestaltet.

Die politische, gesellschaftliche und wirtschaftliche Situation dieser beiden Länder hat daher „sehr viel mit dem Islam zu tun“, so daß der bei Kritik an problematischen Aspekten islamisch geprägter Gesellschaften von modernen, den Islam respektierenden Subjekten häufig verwendete Einwand „Das hat ja mit dem Islam nichts zu tun“ hier nicht in Anschlag gebracht werden kann.

Nehmen wir an, es handle sich bei jenem Unbehagen unseres modernen, den Islam respektierenden Subjekts um ein Unbehagen am Kapitalismus, das sich etwa an der Kategorie „Ausbeutung“ festmachen ließe – dann müßte ihn die Situation in einem Land wie Saudi-Arabien weit unbehaglicher stimmen als  jene in den kapitalistischen Ländern des Westens.

In Saudi-Arabien sind, laut Anmesty International, Streiks und Gewerkschaften genauso verboten wie Tarifverhandlungen. „Das Recht auf Versammlungsfreiheit und das Recht, sich in Bezug auf Arbeitsbedingungen und Löhne zu organisieren, wird nicht gewährt. Wer es dennoch versucht, wird entlassen, verhaftet – oder im Falle von GastarbeiterInnen [...] ausgewiesen“ (1)  

Sechzig bis achtzig Prozent aller Arbeitnehmer in Saudi-Arabien - und an die 90 Prozent (2) aller in der in der Privatwirtschaft Tätigen - sind Ausländer. Ihre Lebenssituation kann je nach Herkunft beträchtlich variieren. Während die wenigen Experten aus westlichen Industrieländern eine privilegierte Stellung einnehmen, unterliegen zehntausende Lehrer, Ärzte, Apotheker und Krankenschwester aus dem benachbarten arabischen Ausland strengen Bestimmungen. So ist es ihnen beispielsweise nicht erlaubt, den Bezirk oder die nähere Umgebung der Stadt, in dem/der sie arbeiten, zu verlassen.

Die, so Anmesty, „rechtloseste und gefährdetste Gruppe bilden jedoch Fremdarbeiter aus armen asiatischen oder afrikanischen Ländern, die für einfache, schlecht bezahlte Arbeiten eingesetzt werden - als Teaboys, Putzpersonal, Packer, Müllmänner, Straßenkehrer oder als Hauspersonal. Die meist ungelernten Arbeiter(innen) werden von Agenturen nach Saudi- Arabien vermittelt, und einem Sponsor zugeteilt, welcher für die Erteilung der Arbeitsgenehmigung sorgt, und in aller Regel mit dem Arbeitgeber identisch ist. Die Lebenssituation dieser dritten und größten Gruppe von Fremdarbeitern bezeichnet Anmesty als „moderne Form der Sklaverei“: Die Arbeiter(innen) seien „den Sponsoren buchstäblich ausgeliefert [...], können ohne Zustimmung des Sponsors weder den Arbeitgeber noch die Unterkunft noch den Wohnort wechseln [und auch nicht] in ihre Heimat zurückkehren, da die Sponsoren üblicherweise die Pässe der GastarbeiterInnen einbehalten [...] Die Arbeitszeiten betragen häufig zwölf bis vierzehn Stunden am Tag. Urlaub wird in den ersten beiden Jahren nicht gewährt. Nur der Freitag ist frei. Die Bezahlung ist [...] gering.“ (3)

Weibliche Haushaltshilfen seien besonders gefährdet. Sie würden häufig „von der Familie des Arbeitgebers hemmungslos ausgenutzt und [...] mißbraucht, eingesperrt [...] körperlich mißhandelt und vergewaltigt.“ (4)

wird fortgesetzt

(1) http://gewerkschafterinnen.Anmesty.at/saudi/

(2) Stand 2011 - siehe:

http://www.zeit.de/wirtschaft/2015-01/saudi-arabien-wirtschaft-abdullah-salman

(3) http://gewerkschafterinnen.Anmesty.at/saudi/

(4) Ebda.

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