Mittwoch, 24. Juni 2015

Tolerieren, Respektieren, Glauben. Warum wir glauben - und es nicht wissen (5)



Die katastrophale Situation von Gastarbeiter(innen) in Saudi-Arabien werden in den offiziellen Medien der Islamischen Republik Iran, die mit dem Königreich um die regionale Hegemonie rivalisiert, immer wieder scharf kritisiert. Getreu dem Bibelwort: „... den Balken aber im eigenen Auge bemerkst Du nicht?“

„[Der] Iran“, so die Jährliche Übersicht über Verletzungen der Gewerkschaftsrechte des Internationalen Gewerkschaftsbunds „ist eines jener Länder, in denen die Repression gegenüber der Gewerkschaftstätigkeit am stärksten ist.(1) Unabhängige Gewerkschaften sind verboten. Streiks und Arbeiterproteste sind in der Islamischen Republik dennoch an der Tagesordnung. Mit gutem Grund.

„‚Über fünfzig Prozent der iranischen Arbeiter“, so der Leiter des iranischen Arbeiterverbands, Fatollah Bayat, „[leben] unter der Armutsgrenze.’ Nach offiziellen Angaben  gelten Menschen in der Hauptstadt mit einem Einkommen unter 510 Euro pro Monat als arm. Die meisten Arbeiter in Teheran verdienen jedoch umgerechnet nur 400 Euro pro Monat. Den Mindestlohn hat Irans ‚Oberster Rat für Arbeit’ auf nur 180 Euro festgelegt [...] Iranische Internetportale berichten, viele Arbeiter hätten aufgrund des  massiven finanziellen Drucks ihre Familien in kleinere Städte geschickt und würden nun an einem kleinen Schlafplatz, direkt an ihrem Arbeitsplatz, übernachten. Das soll dazu geführt haben, daß Arbeitgeber ihre Angestellten immer mehr in Anspruch nehmen und ihnen häufig Überstunden abverlangen.“ (2)

Trotz des erwähnten Verbots kam es nach der islamischen Revolution immer wieder zur Gründung unabhängiger Gewerkschaften. Besonderes - auch internationales - Aufsehen erregte 2005 die Gründung der Gewerkschaft der Angestellten der Teheraner Busgesellschaft, die von zahlreichen der über 17.000 Beschäftigten der Gesellschaft, offenbar wegen ihrer Unzufriedenheit mit den miserablen Arbeitsbedingungen, aktiv unterstützt wurde.

Nach einem Streikaufruf der Gewerkschafter im Januar 2006 wurden über tausend Personen - Angestellte der Busgesellschaft, aber auch einige ihrer Ehefrauen und Kinder - verhaftet, darunter die zwölfjährige Tochter eines Gewerkschaftsmitglieds, die geschlagen und brutal in einen Polizeibus geworfen wurde. Dreißig der Verhafteten wurden schwer verletzt.

Mansour Osanloo, mittlerweile legendärer Führer der Teheraner Busgewerkschaft, war fünf Jahre lang im berüchtigten Teheraner Evin-Gefängnis inhaftiert. Er schreibt: „I was physically and psychologically tortured and threatened with rape. My interrogators also often threatened to detain, torture and rape my wife and my children. My son Puyesh was imprisoned and severely torturded. The authorities expelled my other son, Sahesh, from his university. Intelligence agents kidnapped Sahesh’s wife, Zoya, three times. She was beaten and threatened, and during one of this episodes, she miscarried.(3)

Wofür immer die schiitische Islamische Republik Iran oder das sunnitisch-wahhabitische Königreich Saudi-Arabien stehen mögen – „antikapitalistisch“ sind sie nicht. Sie praktizieren, im Gegenteil, einen ungleich brutaleren Kapitalismus als jenen der entwickelten kapitalistischen Gesellschaften des Westens.

wird fortgesetzt

(1) 

http://archive-org-2013.com/org/i/2013-01-26_1239047_64/Pressemitteilungen-Naher-Osten/


(2) Massenentlassungen und Zeitverträge: Zur Situation iranischer Arbeiter, Iran Journal, 19.Mai 2012


(3) Mansour Osanloo, Reading Marx in Teheran, The New York Times, 13. Juni 2013

Keine Kommentare: