Sonntag, 10. Januar 2016

Stiller Fanatismus (11)



„Die meisten amerikanischen Fachleute“, so der Journalist Harald Schumann vom Tagesspiegel, „betrachten die Position - insbesondere - der Deutschen inzwischen nur noch [...] als Folklore. Für die ist diese deutsche Austeritätspolitik so etwas ähnliches wie Lederhosen und Weizenbier.“

Verwundert über die Position der deutschen Bundesregierung zeigte sich auch Stephan Kaufmann, Wirtschaftsexperte der Frankfurter Rundschau.
Schon das Sparprogramm, das die griechische Regierung als letztes Angebot unterbreitet hatte (bevor sie sich gezwungen sah, ein Referendum über das - noch härtere - Spardiktat der Gläubiger abzuhalten), hätte, so Kaufmann bei einem Vortrag1), „den Ruin des Landes komplettiert“, hätte es doch den Griechen weitere 5 bis 10 % ihrer Wirtschaftsleistung gekostet. Auch dieses Angebot, eine Beinahe-Kapitulation, wurde aber schließlich von den Gläubigern abgelehnt - vordergründig aufgrund von Kleinigkeiten. Das, zitiert Kaufmann die Washington Post, wäre in etwa so, als würde man jemanden zum Selbstmord verurteilen und ihm dann noch vorschreiben, wie er ihn zu begehen habe.

Kaufmann zitiert dann den Ökonomen Thiess Büttner, einen Berater des deutschen Finanzministers Wolfgang Schäuble, der in einem Gastbeitrag für das Handelsblatt eine Nachbesserung des Hilfsprogramms für Griechenland kategorisch abgelehnt hatte, „selbst wenn dies zu einer Stärkung der griechischen Wirtschaft führen sollte“.2)

„Was ist das für eine Haltung?“, wundert sich Kaufmann, um festzustellen, daß die Bundesregierung die Angelegenheit sehr grundsätzlich behandle, daß es ihr offensichtlich „um ein Prinzip“ gehe.

„Der [Bundesregierung] geht es ... bei ihren Verhandlungen natürlich nicht um die griechischen Menschen - klar, wer hätte das schon gedacht. Denen geht es auch nicht um die griechische Wirtschaft - das hätte man noch denken können, weil aus der griechischen Wirtschaft sollen ja immerhin die Erträge kommen, mit denen dann die Kredite zurückgezahlt werden, die wir denen gegeben haben. Es geht denen ... offensichtlich auch nicht um den deutschen Steuerzahler, daß der sein Geld zurückkriegt. Es geht ihnen aktuell nicht einmal mehr um die Durchsetzung einer neoliberalen Agenda ... Im Moment geht es ihnen ganz abstrakt darum, am Fall Griechenland zu demonstrieren, daß diese Regeln unbedingt gelten und, daß wer wagt, sie anzuzweifeln, vor dem Staatsbankrott steht ...“

Dieses verblüffend rücksichtslose Beharren auf abstrakten Prinzipien - zu dem sich neben Schäuble auch Merkel und ihr Stellvertreter Sigmar Gabriel (SPD) bekannt hatten, führt Kaufmann dann in weiterer Folge auf europapolitisch-machtpolitische Interessen der deutschen Regierung zurück. Auch wenn die Argumentation Kaufmanns hier einleuchten mag – die Reduktion dieses Fanatismus der Regeln auf rationale Interessen entspricht einer Rationalisierung im psychoanalytischen Verständnis, die das Unheimliche einer Haltung, die „wenn es hart auf hart geht“, nicht nur fremden, sondern auch eigenen Interessen gegenüber keine Rücksicht kennt, abzuwehren versucht.

Fanatisch ist diese Haltung, sofern sie ganz abstrakt ist, wie Kaufmann sagt, also gegenstandslos. Und sich vom Bereich real existierender Objekte als solchem losgesagt hat, wie jener Mann auf der Mauer sich von der Liebe zu seinem Sohn.

wird fortgesetzt

1) In der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Berlin, am 6. Juli 2015

http://www.rosalux.de/event/53630

2)

http://www.handelsblatt.com/my/politik/international/finanzpolitik-in-griechenland-aufgeben-wuerde-der-sicherungsarchitektur-schaden/11360226.html

Keine Kommentare: