Samstag, 3. Januar 2015

Zizek in Teheran (91)



- Weiß Du wie er ausschaut?

- Gott? Besteht aus Strahlen, denke ich. Sagt die Schrift, n’est ce pas?

Teheran, LeserIn, war einmal frankophon.

Nehru lacht. Wie eine Kindergartenpädagogin. Über den Scherz eines Kindergartenkindes. Im Kindergarten

- Schau mal ...

Wo gerade noch Nehru, sitzt jetzt ein Mann. Wird wohl Gott sein. Groß, Bierbauch, Japaner. Beginnende Glatze. Mit einer eigentlich, für Japaner meine ich, zu hellen Haut. Aber nachdem er Gott ist ...

Also nix Gottesstrahlen. Das wird ja immer schöner.
Immer schöner wird auch Nehru.

Erst noch dieses – Du erinnerst Dich, LeserIn, an die Gesichtsbeschreibung weiter oben (hohe Stirn, buschige Augenbrauen, Hakennase, und nicht zu vergessen, der weiß gesprenkelte Bart. Und dieses Lächeln, aus dem Süden Italiens, macht ihn sympathisch)? Also: Zuerst noch dieses Gesicht, jedoch unterscheidet es sich vom beschriebenen in einer Hinsicht. Inzwischen ist der Nehru seinen Bart los, und bartlos erscheint sein Gesicht breiter als das ehemalige. Bartvolle. Erinnert, entfernt, an Robin Williams. Weiters: Graue Brille. Einigermaßen modisch.

Behalte diese Gesichts-schreibung im Gedächtnis, LeserIn ... Kennst Du übrigens F.F., 

Forugh-Behalte-den-Flug-im-Gedächtnis-Farrokhzad? 

Die Teheraner Dichterin?

Die Teheraner Dichterin?

Ausgesprochen berühmt. Wenn auch nicht ausgesprochen, wegen des unaussprechlichen Namens, weltberühmt:

Mein Herz ist bedrückt (2x),

Ich trete auf die Terrasse.
Meine Finger streichen über die
Gespannte Haut der Nacht.

Die Kontaktlichter sind erloschen (2x).

Niemand wird mich der Sonne vorstellen
Niemand wird mich -

Behalte den Flug im Gedächtnis
Der Vogel ist sterblich.

wird fortgesetzt

Dienstag, 30. Dezember 2014

Vögeln ist schön – warum wir aber nicht fliegen (1)



Von wegen Reiz des Verbotenen

Wann immer mein Freund Kamran, ein in Wien lebender Teheraner Künstler, ein alleinstehender, gut aussehender Mittdreißiger, von einer Reise nach Teheran zurückkehrt, schwärmt und klagt er. In Teheran, schwärmt er, „findet das Leben“ statt. „Erotik liegt in der Luft.“ Auf Parties, in Cafés, oft auch auf der Straße, könne man „den Sex förmlich riechen“. Wien, klagt er, sei ganz anders.

Wann immer ich österreichischen Freunden von Kamrans Klagen und Schwärmen berichte, sind sie überrascht. Um - oft im gleichen Atemzug - ihre Überraschung darüber, daß „Sex“ ausgerechnet im Gottesstaat Iran „in der Luft liegen soll“, wieder zurückzunehmen. Kein Wunder, heißt es dann, von wegen Reiz des Verbotenen.

Womit dann das Thema in der Regel auch abgehakt ist.

Der Zusammenhang zwischen dem Verbot und dem Reiz, allgemeiner: zwischen dem Gesetz und dem Begehren, scheint evident. Philosophen, Heilige und Schriftsteller haben immer wieder auf ihn verwiesen - von Apostel Paulus (1) bis Mark Twain, dessen Tom Sawyer seinen Freunden suggeriert, daß nicht jeder den Gartenzaun streichen dürfe, so daß die von Tante Polly auferlegte Strafe als exklusives Vergnügen erscheint - und er scheint uns so vertraut, daß sich weitere Fragen gar nicht erst stellen. Etwa die, warum uns denn das Verbotene reizt, bzw. ob es das überhaupt tut.

Oder auch: Ob das Verbot, dort wo wir es vermuten - in unserem Fall im Iran - überhaupt existiert.

In ihrem Dokumentarfilm Bazar der Geschlechter beschäftigt sich Sudabeh Mortezai mit der Institution der Zeit- oder Lustehe, eine im schiitischen Islam erlaubte, rasche und unbürokratische Form der Eheschließung - für die Dauer von einer halben Stunde bis 99 Jahren. Die Zeitehe wird vom herrschenden religiösen Establishment im Iran - mit dem Ziel Prostitution und „westliche Dekadenz“ zu bekämpfen -  tatkräftig gefördert.

Während das Gesetz bei Paulus die Lust verbietet, und sie auf diese Weise indirekt hervorbringt, zielt das Gesetz in der Islamischen Republik Iran auf die direkte Produktion sexueller Lust - indem es diese geradezu gebietet.

wird fortgesetzt

(1) "Denn ich wüßte nichts von der Begierde, wenn das Gesetz nicht gesagt hätte: 'Du sollst nicht begehren!' [...] ohne das Gesetz war die Sünde tot." (Römer 7,7-8)

Warum die Vergangenheit nicht vergeht (vormals: 'Warum wir immer dümmer werden') (14)


Eugène Thivier, Le cauchemar (Der Albtraum)

Im Gegensatz zu den Toten der Biokosmisten, denen wir Lebende etwas schulden, wäre der tote Gott des Islamisten also ihm etwas schuldig. Weil sich aber der Ort seines Gottes als Ort des Mangels herausstellt, verwandelt sich der uneingestandene Zweifel des Fundamentalisten in Verzweiflung. Es ist die verzweifelte Wut über die Ohnmacht eines toten Gottes, die Phänomene wie die Islamische Republik Iran oder den Islamischen Staat gebiert.

Demnach hätte es der Islamist mit einem doppelten Mangel zu tun: Der gegenwärtige Mangel (die traumatisch erlebte Ohnmacht der islamischen Welt) wird zum Auslöser seiner Rückwendung zum frühen Islam, wo er erst recht wieder dem Mangel (dem frühen Mangel als Ursache des gegenwärtigen) begegnet.

Paradoxerweise ist es aber gerade diese Struktur der doppelten Unerlöstheit, die Licht auf Benjamins dunkle Rede von der Erlösung der Vergangenheit zu werfen vermag - und auf das Phänomen der revolutionären Regression als solche: Zu erlösen ist nicht die „vergangene“, tote Vergangenheit - sondern die untote. Jenes Noch-immer, dem mein frustrierter Freund sein beschwörendes Doch-schon-2014 entgegenschmetterte: Die unvergangene Vergangenheit, welche die Gegenwart an der Erlösung hindert.

Um Benjamin zu verstehen, müssen wir ihn also auf den Kopf stellen: Die Erlösung der Vergangenheit ist nicht der zweite, der Erlösung der Gegenwart folgende Schritt. Vielmehr bildet die Erlösung der - unvergangenen - Vergangenheit die Voraussetzung für die Erlösung der Gegenwart. Bedeutet sie doch die Erlösung der Gegenwart von dem Unvergangenen in ihr. Die Heilung des noch immer nicht verwundenen Traumas, das in Epochen revolutionärer Krise schon wieder zurückkehrt22. Der flash back als Heilungsversuch.

Auch wenn sie es nicht wissen: Den Revolutionären geht es nur scheinbar darum, der Vergangenheit „Name, Schlachtparole [und] Kostüm“ zu entlehnen. Sie kehren zu jener Vergangenheit zurück, um sie zu überwinden, die Gegenwart von ihr zu erlösen.

Im Fall des Islamismus entgleist dieser Heilungsversuch allerdings. Die unvergangene Vergangenheit kehrt, statt überwunden zu werden vollends zurück - und überwindet ihrereseits die Gegenwart. Der flash back wird zur Halluzination.

Weiter oben sprachen wir von unserer Phantasie, daß es sich bei Phänomenen wie dem Völkermord im Islamischen Staat oder den theologisch motivierten Vergewaltigungen in den Gefängnissen der Islamischen Republik um die Wiederkehr einer barbarischen Vorzeit handelt, dann von der These, daß wir, um diese Schreckensvision zu bewältigen, den politischen Islam in ein zeitgemäßes Gewand zu kleiden versuchen – und schließlich von unserem Zweifel an dieser These: Könnte es nicht sein, daß es sich umgekehrt verhält? Daß die Jihadisten in Wahrheit Zeitgenossen sind, die sich als archaische Gotteskrieger kostümieren?

Unsere Denkbewegung hat uns ausgehend vom Phänomen revolutionärer Beschwörungen der Vergangenheit, über den Regressionsbegriff in der Traumdeutung und eine Neuinterpretation der These Benjamins von der Erlösung der Vergangenheit zum Begriff der unvergangenen Vergangenheit geführt: Jenes oft verborgene Noch-immer, das nicht und nicht aufhören will, uns als Schon-wieder zu begegnen.

Wenn Adorno davon spricht, daß bei Marx Ausdrücke wie Lohnsklaverei - für die freie Lohnarbeit - nie bloß metaphorisch gemeint sind, hat er diesen historischen Wiederholungszwang im Blick. Er nennt ihn „Konstanz von Vergängnis“ und zählt die Gestalten auf, die er annimmt: „Herrschaft, Unfreiheit, Leiden, die Allgegenwart der Katastrophe“23.

Phänomene wie die Massenmorde des Islamischen Staates oder die theologisch motivierten Vergewaltigungen in der Islamischen Republik sind Albträume aus einer barbarischen Vorzeit, die wir fern und vergangen wähnten. Nach dem Aufwachen mag es uns gelingen, den Traum auf jene Bestandteile zu reduzieren, die an die Ereignisse des Vortages – Freud nennt sie Tagesreste – anknüpfen. Und so den unheimlichen Gedanken an dessen Abkunft aus jener vergangen geglaubten Vergangenheit zu verscheuchen. Vergessen wir aber nicht, daß es nicht nur eine Flucht aus der Realität des Wachzustands in die Scheinwelt des Traums gibt, sondern auch eine Flucht aus der Realität der Albträume in die Rationalität des Wachzustands.

Ende

22 Ein anderer Aspekt der Rückkehr vergangener Traumen in Epochen revolutionärer Krise erhellt sich, wenn wir die Benjaminsche These zusammen mit Freuds Theorie der Nachträglichkeit lesen: Bestimmte Traumata werden erst nachträglich zu Traumata. Erst ab einer bestimmten (durch die revolutionäre Krise repräsentierten) Stufe „historischer Entwicklung“ stehen einer Gesellschaft jene Deutungsinstrumente zur Verfügung, die sie befähigen, jene Traumata überhaupt als solche wahrzunehmen. Ähnlich wie bei Freuds Patientin Emma, bei der ein Übergriff in der Kindheit erst nachträglich (nach der Geschlechtsreife) zu einem sexuellen Trauma wurde. Siehe auch den Artikel Emma und die Revolution im Iran in diesem blog.

23 Theodor W. Adorno: Soziologische Schriften I. In: ders., Gesammelte Schriften, Bd 8, Frankfurt am Main 2003, S. 234

Freitag, 26. Dezember 2014

Zizek in Teheran (90)



„À propos Halsstecken“, sagt Nehru, „haben Sie ihm schon mal - einen geblasen?“

- Ihm?

- Na, Gott.

Ich habe den Begriff. Noch einmal: Ich habe das Konzept hinter dem Begriff Jemandem-einen-blasen nie verstanden und eigentlich finde ich es unerträglich. Was er mir zumutet. Zwar sagt die Psychoanalyse, und folglich sage auch ich: Sagen Sie alles. Zwar ist die Psychoanalyse, und folglich bin auch ich: atheistisch. Aber das hier ist Blasphemie, LeserIn.

Wenn Du ohnehin nicht an Gott glaubst, was stört Dich das Blasen?

Diese Frage nehmen wir am besten zum Anlaß, um zum Nehru zurückzukehren. Der steht jetzt. Um teils pantomimisch (mit kantigen, um nicht Kantischen zu sagen, Bewegungen seiner Hände), teils mit gesetzten Worten (oratio compositaetwas darzustellen, resp. zu beschreiben.

Beim Beschriebenen scheint es sich, resp. beim Dargestellten, um eine Vision zu handeln. Eine ganzheitliche, wenn ich das Wort nicht hassen würde. M2, wann immer ihn eine jener Passagen in ein Weib verwandelt, fast hätte ich weibert macht gesagt, wie der Grazer. Und an dieser Stelle (spätestens!) solltest Du kapiert haben:

Das Graz
In diesem Roman
Ist nicht weniger imaginär
Als Teheran.

Weibert sagt weder der Grazer ... Noch einmal:  Wann immer ihn eine der besagten Passagen in ein Weib verwandelt, ist Nehru eine sehr junge Frau. Sagen wir ruhig Schul-Mädchen. Report!

- Ist die Verwandlung abgeschlossen, kommt er. Und sitzt.

M2 steht jetzt. Vor ihm. Will sagen: Vor dem Sessel. Vor ihm kann aber auch vor Gott heißen wollen.

- Wir denken, wenn wir Gott sagen, weiß Gott was. Gott ist aber - auch nur ein Mensch. In meinem Fall ein Mann.

wird fortgesetzt