Barcelona 1937. Marina Ginèsta, 17 Jahre, von den Juventudes Comunistas |
Mehr noch: Auch die oben kritisierte Situation der
iranischen Frauen hat sich – Islamische Republik hin oder her – verglichen mit
der Zeit um 1900 in vielerlei Hinsicht drastisch verbessert: 60% (!) der vier
Millionen Studenten im Iran, ein Viertel des akademischen Personals und
immerhin 8% der Parlamentsabgeordneten sind weiblich. Ein Drittel aller Frauen
ist berufstätig (Stand 2012)2.
Für jenes Doch-schon – also für den
Geschichtsoptimismus - meines Freundes Kave scheint es also doch gute Argumente
zu geben. Wie lassen sich aber all diese Fortschritte im Iran, wie auch
anderswo auf der Welt, mit jenem Noch-schlimmer zusammendenken -
mit dem Befund, daß im Iran, aber auch anderswo auf der Welt, nach
revolutionären und emanzipatorischen Anstrengung (oft) „alles noch
schlimmer“ wurde?
Wie im Iran begann das zwanzigste Jahrhundert – Stichwort
Oktoberrevolution - für Millionen von Menschen in Europa und Amerika, und
nicht nur dort, mit großen Hoffnungen auf umfassende gesellschaftliche
Emanzipation. Im Rückblick erscheint uns dieses zwanzigste Jahrhundert aber
eher als ein Jahrhundert der Katastrophen und der Barbarei - als eines der
gesellschaftlichen und politischen Emanzipation.
Dennoch: Auch der Durchschnittsbürger in Amerika und in
Europa erfreut sich natürlich zu Beginn des 21. Jahrhunderts einer ungleich
besseren Lebensqualität und eines weit besseren Lebensstandards als dies um
1900 der Fall war. Und der Widerspruch zwischen diesen beiden Tendenzen -
zwischen all den Fortschritten und dem Noch-schlimmer als Resultat der großen Revolutionen und Emanzipationsbewegungen, läßt sich
durch das – augenscheinlich falsche - Klischee, Fortschritte gäbe es bloß
in naturwissenschaftlich-technologischer Hinsicht, gesellschaftspolitisch gäbe
es aber nur Stagnation und Rückschritte, nicht auflösen.
Aber warum soll uns das alles überhaupt interessieren?
Sollten wir solche Überlegungen nicht den Geschichtsphilosophen überlassen –
falls es solche noch geben sollte? Oder älteren Damen, die beim Kaffeekränzchen
– falls es solche noch geben sollte - von den guten alten Zeiten
schwärmen – gleichsam das Gegenstück zum Geschichtsoptimismus meines Freundes?
Sollten wir nicht. Heute, hundert Jahre nach Ausbruch des
Ersten Weltkriegs, werden wieder einmal grundlegende zivilisatorische Normen über Bord
geworfen. In den 1930ern gingen junge Menschen aus aller Welt nach Spanien, um
dort gegen die - von Mussolini und Hitler unterstützen - Faschisten zu kämpfen.
Heute gehen junge Menschen aus aller Welt in den Irak und nach Syrien, um in
einem Religionskrieg Andersgläubige abzuschlachten, und deren Heiligtümer zu
zerstören. Als Religionskrieg zwischen „Juden“ und „Moslems“ nehmen wir auch
den Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern wahr – längst nicht mehr
als Krieg zwischen dem israelischen und dem palästinensischen Nationalismus.
In Europa hingegen ist die Wiederkehr des Nationalismus nach dem Zerfall der
Sowjetunion - jenes Nationalismus, der uns im Rückblick und angesichts der Konfessionalisierung
des Nahostkonflikts, als „fortschrittlich“ erscheint - mit Prozessen des
zivilisatorischen Rückschritts verbunden: Im Jugoslawienkrieg der 90er
Jahre, so wie heute im Konflikt um die Ukraine.
Vor dem Hintergrund dieser Kriege und Krisen drängt sich
die totgesagte Geschichtsphilosophie wieder auf - und
stellt Fragen. Zum Beispiel ob wir, wieder einmal, Zeugen einer Umkehr
des Zivilisationsprozesses sind. So wie es laut unseren Schulbüchern beim
Übergang von der Spätantike ins Frühmittelalter der Fall war.
wird fortgesetzt
sowie
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