Und die Raketenforschungen Konstantin
Tsiolkovskis, der die zum Leben erweckten Toten (für die es auf der Erde
zu wenig Platz geben würde) auf andere Planeten bringen wollte, machten ihn zum
Vater der sowjetischen Raumfahrt. Das Phantasma der Auferstehung der Toten mündete
in die Realität der sowjetischen Raumfahrt - Kurzschluß zwischen Eschatologie, Science-Fiction und Wissenschaft.
Für eine Komparatistik – eine vergleichende Wissenschaft - der
Revolutionen und ihrer Regressionen wäre die Gedankenwelt der Biokosmisten in zweifacher
Hinsicht aufschlußreich. Sie erweckt zum einen den Eindruck, als hätte da jemand
Marx’ metaphorische Rede von der „Beschwörung der Geister der Vergangenheit“
ganz wörtlich genommen - konkretistisch.
Konkretismus bezeichnet im Jargon der Psychiater das Denken bestimmter
Wahnkranker, das am konkreten Sinn einer Aussage fixiert bleibt, ihre metaphorische
Dimension aber verfehlt. So betrachtet, wäre die Regression der – oder eines
einflußreichen Teils der - russischen Revolutionäre zu Beginn des 20.
Jahrhunderts „noch halluzinatorischer“ als die Rückwendung der Revolutionäre im
Iran des Jahres 1979 zum Islam.
Zum anderen scheint sich die Ideenwelt der Biokosmisten in einem entscheidenden
Punkt von allen übrigen revolutionären Regressionen zu unterscheiden: Die Biokosmisten
beschworen die „Geister der Vergangenheit“ nicht, um den Toten „Namen, Schlachtparole
[und] Kostüm“ zu entlehnen - wie die Französische Revolution der römischen
Republik oder die islamische Revolution dem frühen Islam. Auch nicht, weil
sie der Ansicht waren, die Toten hätten in einem Goldenen Zeitalter gelebt, das
nun wieder auferstehen sollte. Nicht die revolutionäre Gegenwart steht für die
Biokosmisten im Zeichen des Mangels, eines Mangels, der sie zwingen würde, Reichtum
und Überfluß in der Vergangenheit zu suchen. Im Gegenteil: Die revolutionäre
Gegenwart ist aufgefordert und verpflichtet, sich des Mangels der Vergangenheit
anzunehmen - ihrer Leiden und ihrer Traumen.
Das erinnert natürlich an den Jahrzehnte später formulierten
Gedanken Walter Benjamins von der „schwachen messianischen Kraft“, die „uns wie
jedem Geschlecht, das vor uns war, [...] mitgegeben“ sei, und „an welche die
Vergangenheit Anspruch.“1 habe. Jede
Gegenwart – das meint Benjamin mit „schwacher
messianischer Kraft“ - hätte das Potential, die Vergangenheit zu erlösen. Aber
erst die, am Ende der Geschichte, „vollständig erlöste“ und nunmehr mit „starker messianischer Kraft“
ausgestattete Menschheit sei in der Lage, auch die Vergangenheit „vollständig“ zu
erlösen.
„Freilich fällt erst der erlösten Menschheit ihre Vergangenheit
vollauf zu.“2
Die Biokosmisten scheinen also nicht nur buchstabengetreue
Marxisten gewesen zu sein, „Marxisten à la lettre“ sozusagen, sondern auch Benjaministen
avant - und à - la lettre.
wird
fortgesetzt
1 Walter Benjamin: Über den Begriff der Geschichte. In:
ders., Gesammelte Schriften, Bd I.2. Frankfurt am Main. 1980, S. 694
2 Ebd. S. 694
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen