Donnerstag, 30. Oktober 2014

Warum die Vergangenheit nicht vergeht (bisher: „Warum wir immer dümmer werden“) (13)


Alexander Bogdanov, Bolschewist und Biokosmist

Weiter oben war die Rede davon, daß die Biokosmisten - die ihre eigene Gegenwart als erlöst imaginierten und die Vergangenheit als erlösungsbedürftig - Benjamins These von der Erlösung der Vergangenheit durch die Gegenwart vorweg genommen haben. Die islamistische Regression, bei der sich – umgekehrt - die von Mangel gezeichnete Gegenwart, in der Hoffnung auf Erlösung, nach einer „glorreichen Vergangenheit“ zurücksehnt, scheint diesen Benjaminschen Gedanken hingegen auf den Kopf zu stellen.

Die Spiegelbildlichkeit der Strukturen der biokosmistischen und der islamistischen Regression erlaubt es uns nun, sie „gegeneinander antreten“ und sich gegenseitig dekonstruieren zu lassen: Im Lichte der Struktur der islamistischen Regression erwiese sich dann die scheinbar erlöste Gegenwart der Biokosmisten, zumindest potentiell (sie trug ja den Keim des Stalinismus in sich), als nicht weniger katastrophal als die gegenwärtige Situation der islamischen Welt.

Interessanter ist der umgekehrte Versuch, den Islamismus im Lichte des Biokosmismus zu dekonstruieren: Dann könnte sich der „glorreiche“ Sehnsuchtsort der Islamisten, der frühe Islam, ebenfalls als Ort des Mangels herausstellen, unerlöst, wie die Toten der Biokosmisten.

Von hier aus könnten wir - jenseits der „biokosmistischen Dekonstruktion“ – dann weiterfragen: Kann es sein, daß der Islamist an jenem Ort der Vergangenheit, von dem er die Heilung der Gebrechen seiner Gegenwart erhofft, nicht vielmehr ihren Ursachen begegnet? Jener Sehnsuchtsort wäre dann der Ort eines nicht eingestandenen Zweifels. Und einer nicht gestellten Frage an einen ohnmächtigen, weil toten Gott:

Warum hast Du uns verlassen?

Im Gegensatz zu den Toten der Biokosmisten, denen wir Lebende etwas schulden, wäre der tote Gott des Islamisten also ihm etwas schuldig. Weil sich aber der Ort seines Gottes als Ort des absoluten Mangels herausstellt, verwandelt sich der uneingestandene Zweifel des Fundamentalisten in Verzweiflung. Es ist die verzweifelte Wut über die Ohnmacht eines toten Gottes, die Phänomene wie die Islamische Republik Iran oder den Islamischen Staat gebiert.

wird fortgesetzt

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