Charles Fourrier |
Zurück zu unserem weltoffenen, „den Islam“ respektierenden Zeitgenossen,
und seinem Unbehagen am Kapitalismus - als pars pro toto für all jene Unbehagen, die moderne Subjekte umtreiben,
und sie veranlassen mögen, „den Islam“ zu respektieren - oder zu beneiden (wobei
„der Islam“ wiederum als pars pro toto für vorkapitalistische, oder besser als
vorkapitalistisch imaginierte Kulturen aufgefaßt werden kann).
Dieses Unbehagen ist natürlich nicht neu. Es begleitete den modernen (Industrie)kapitalismus
seit seinen Anfängen, und artikulierte sich etwa in den Werken eines Charles
Fourrier, jenes Frühsozialisten, der die politisch-ökonomische und sexuelle
Befreiung zusammendachte, den Begriff „Feminismus“ erfand, und später zu einem
der geistigen Väter der 68er avancierte, oder in den Aktionen der
Maschinenstürmer in Deutschland und der von Byron besungenen Luddisten in
England - und ist seither nicht abgeklungen.
In den letzten Jahrzehnten scheint sich aber die Position des Subjekts
im Kapitalismus und mit ihr der Charakter seines Unbehagens an demselben verändert
zu haben. Die industrielle Revolution hatte die Subjekte aus ihrer Abhängigkeit
von feudalen Strukturen befreit. Seither stehen sie (zumindest de iure) in
keinem persönlichen
Abhängigkeitsverhältnis mehr – sind aber dem Zwang unterworfen, ihre
Arbeitskraft verkaufen zu müssen. Gelingt ihnen das nicht, werden sie (als
Empfänger von Arbeitslosengeld oder Notstandshilfe) auf das Existenzminimum
reduziert und sozial deklassiert. Ihre „persönliche
Unabhängigkeit“ ist also, mit Marx zu sprechen, „auf sachliche Abhängigkeit gegründet“.1
Diese „sachliche Abhängigkeit“ zwingt die Subjekte, einen Käufer zu
finden, den Arbeitgeber, der ihnen ihre Arbeitskraft um eine bestimmte Summe, dem Lohn, abkauft, und mit ihnen, als Arbeitnehmer, ein sachliches Abhängigkeitsverhältnis
eingeht. Dieses Abhängigkeitsverhältnis war nun bis vor wenigen Jahrzehnten in aller
Regel tatsächlich ein sachliches. Es kam zwar vor, daß jemand „für seinen Beruf
lebte“ oder „in seinem Beruf aufging“. So jemand wurde aber, war er nicht
gerade Priester oder in einem der heute so genannten kreativen Berufe tätig,
eher als Ausnahmeerscheinung betrachtet, wenn nicht als Sonderling. Jedenfalls
galt solches Verhältnis zur Arbeit nicht als gesellschaftlicher Standard.
Der Arbeitgeber erwartete von der Arbeitskraft, die er bezahlte, die
effiziente Erledigung der Arbeit. Nicht mehr und nicht weniger. Die persönliche Einstellung jener Arbeitskraft
zu der von ihr verrichteten Arbeit war ihm, solange die Qualität der Arbeit
stimmte, in der Regel herzlich egal. Genau das kommt in der sachlichen,
unpersönlichen Bezeichnung Arbeitskraft
ja zum Ausdruck.
Heute scheinen die Dinge aber anders zu liegen. Mehr und mehr ähneln Vorstellungsgespräche
psychologischen Tests. Die Bewerber werden nach sozialer Kompetenz, emotionaler
Intelligenz, Kommunikationsfähigkeit, Teamfähigkeit, Kreativität etc. etc.
gefragt, vor allem, ob sie sich mit ihrer potentiell zukünftigen Arbeit und
ihrer potentiell zukünftigen Firma zu
identifizieren vermögen. Ganz so, als verkauften sie nicht ihre
Arbeitskraft - sondern ihre Seele.
1 Karl Marx, Friedrich Engels, Werke, Bd. 42, Berlin 2005, S.91
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