In diesem Sinne sind mit ihrer Arbeit identifizierte Zeitgenossen Berufene im Lutherschen Verständnis. Mit dem Unterschied aber, daß für sie der Beruf kein Mittel ist, um gottgefällig zu leben – sondern Selbstzweck. Die Arbeit als solche ist ihnen heilig. Oder noch einmal anders: Mit ihrer Arbeit identifizierte Subjekte glauben an ihre Arbeit. Und beziehen aus diesem ihren Glauben Selbstachtung.
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Robert Pfaller unterscheidet in Anlehnung an den französischen
Psychoanalytiker Octave Manoni zwei Existenzformen des Glaubens: „Bekenntnis(glauben)“ (foi) und „Aberglauben“ (croyance).
Im Falle des Bekenntnisglaubens ist, Pfaller zufolge, das Subjekt selbst mit bestimmten
(Glaubens)inhalten identifiziert, und
bezieht aus dieser Identifikation mit seinem
Glauben Selbstachtung. Dabei
kommt es (hier verwendet Pfaller die Terminologie der zweiten Freudschen
Triebtheorie) zu einer Zunahme an narzißtischer
Libido - auf Kosten sogenannter Objektlibido.
Die Zunahme an Selbstachtung geht also, um es wieder in der Alltagssprache zu
sagen, mit einem Verlust an (manifester) Lust einher. Der Bekenntnisglaube ist
prinzipiell lustfeindlich - und mit asketischen Idealen verknüpft.
Bekenntnis in diesem spezifischen Sinn erinnert an Luthers Worte „Hier
stehe ich, ich kann nicht anders“ auf dem Reichstag zu Worms, und an Max Webers
These von der „innerweltlichen Askese“ des Protestanten als Grundlage des
modernen Kapitalismus. Auch wenn Luther jene Worte so nicht gesagt haben
dürfte, und „innerweltliche Askese“ eher
den calvinistischen Protestantismus charakterisiert als den lutheranischen.
Der Glauben jener mit ihrer Arbeit identifizierten, an ihre Arbeit glaubenden, und aus diesem ihrem Glauben
Selbstachtung beziehenden Zeitgenossen ist jedenfalls in dieser Sicht ein - Bekenntnisglauben.
Im Unterschied zum Bekenntnis handelt es sich bei jenem von Pfaller
„Aberglauben“ genannten Glaubensmodus um einen Glauben ohne Träger. Eine „Einbildung, die niemand für sich
[selbst] reklamiert.“1
Mit „Aberglauben“ in diesem besonderen Sinn haben wir es etwa dann zu
tun, wenn jemand beteuert, an einen Unsinn wie Astrologie natürlich nicht zu glauben, dennoch aber täglich
den unwiderstehlichen Drang verspürt, sein Horoskop zu lesen. Aus einem solchen
Glauben, zu dem man sich nicht bekennt, kann man - im Unterschied zum
Bekenntnisglauben – natürlich keine Selbstachtung beziehen. Andererseits ist
„Aberglauben“ (den Pfaller mit dem Spiel
im Sinne Johan Huizingas gleichsetzt), wiederum im Unterschied zum
Bekenntnisglauben, „lustfreundlich“.
Nun scheint aber jener - lustfeindliche – Bekenntnisglaube nicht bloß
unsere Position der Arbeit gegenüber
zu bestimmen, sondern darüber hinaus unser Verhältnis zu einer Reihe anderer
Lebensbereiche.
Im Bereich der Politik etwa
entspringt die Sorge des an die Tugend der politischen
Korrektheit glaubenden Zeitgenossen um die Korrektheit und „Sauberkeit“ seiner politischen Äußerungen - seiner
Sorge um Selbstachtung. Genauer: seinem Bemühen, die Achtung seines Über-Ichs
zu gewinnen. Und seiner narzißtischen Sorge um das Heil und die Reinheit seiner
Seele - die ihn objektiv-materielle gesellschaftliche Zusammenhänge ausblenden
läßt.
Auch das Bekenntnis zu „öko-ideologischen“ Glaubenssätzen à la:
„Wenn jeder von uns seinen
Beitrag leistet, also auch ich,
können wir alle - kann also auch ich
- die (Um)Welt retten!“
befördert die Selbstachtung des Bekennenden, der sich als zugleich
bescheidenen und großartigen Retter
der (Um)welt phantasiert. Der Gewinn an narzißtischer Libido geht auch hier auf
Kosten politischer Urteilskraft: Die Illusion, das Heil der Welt hinge von
meiner Tugendhaftigkeit ab, resp. von der Tugendhaftigkeit „jedes Einzelnen“,
reduziert Gesellschaft auf die Summe vieler kleiner Ichs – bei Leugnung der
Bedeutung, ja der Existenz gesellschaftlicher Zusammenhänge und Strukturen.
Zugleich geht solcher ökologischer Bekenntnisglauben mit einem Versiegen von
Lustressourcen einher, die den, im ökologischen Diskurs immanenten, asketischen
Idealen zum Opfer fallen.
wird fortgesetzt
1 Robert Pfaller, Die Illusionen der anderen, Frankfurt a.M. 2002, S. 61
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