Sonntag, 28. Juni 2015

Tolerieren, Respektieren, Glauben. Warum wir glauben – und es nicht wissen (9)



Auch im Bereich der Sexualität scheint die Lust vor lauter Bekenntnisglauben, den wir hier Identifizierungsglauben nennen könnten, mehr und mehr zu versiegen – was zunächst an den Diskursen über Sexualität auffällt:

„Sexualität im Sinne von Lebensfreude kommt in ihren Schriften kaum vor. Und wenn, dann stets in Verbindung mit einer entsprechenden Selbstvorstellung, die es [...] zu verteidigen gilt. Fast immer scheint es mehr um ‚Gender-Expression’ als um körperlichen sexuellen Lustgewinn zu gehen.“1

Dieses Urteil Ulrike Heiders über die Texte der Gendertheoretikerin Judith Butler kann wohl für die meisten aktuellen Diskurse über Sexualität Geltung beanspruchen. Alternative, sich als progressiv empfindende Sexualitätsdebatten scheinen jedenfalls fast nur um das Thema sexuelle Identität zu kreisen.2

Der vom sexuellen Identifizierungsglauben beförderte Lustverlust - die „Austreibung des Sexuellen aus der Sexualität“3 - beschränkt sich allerdings nicht auf das Reden über die selbe.

„Das allgegenwärtige Getue um Körperlichkeit zielt ja am allerwenigsten auf das polymorph-perverse [...] Paradies, vor dem die Imame [und] die Pfaffen [...] händeringend warnen. Es forciert vielmehr die Austreibung des Sexuellen aus der Sexualität, einen Triebverzicht zweiten Grades. Wo das Begehren beständig auf einen ihm äußerlichen Zweck bezogen wird - Fitsein für die Karriere, Reklame für die Welt -, verliert Lust ihren einzigen und ureigenen Sinn: nichts zu wollen als sich selbst.“4

Auch und gerade dort, wo die Gegenwartskultur jenen Körperkult zelebriert, den sie selbst als „hedonistisch“ und „materialistisch“ mißversteht, geht es ihr nicht um körperliche – sprich: sexuelle - Lust „im Sinne von Lebensfreude“. Sondern um die Verwirklichung asketisch-narzißtischer Ideale eines Bekenntnis-, resp. Identifizierungsglaubens, der uns gebietet, aus unseren Körpern schöne und schlanke Hochleistungsmaschinen zu machen. So bliebt für ein, wie immer geartetes, Objekt des Begehrens kein Platz. Und schon gar nicht für das, was einmal Trieb hieß.

Es ist also nur konsequent, wenn der sexuelle Identifizierungsglauben in die Identität des „Asexuellen“ mündet, den neuesten sexuellen Identitäts-Trend, als Alternative zu Hetero-, Homo-, Bi- oder Transsexualität.

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Das Unbehagen am Kapitalismus, das wir weiter oben mit dem Wunsch, an „das Gute im Islam“ zu glauben, in Verbindung gebracht haben, können wir nun also – präziser – als das Unbehagen am Bekenntnisglauben bestimmen.

wird fortgesetzt


Ulrike Heider, Vögeln ist schön. Die Sexrevolte von 1968 und was von ihr bleibt, Berlin 2014

Die kritische Auseinandersetzung mit herkömmlichen Formen sexueller Identitätspolitik miteingeschlossen.

Lars Quadfasel, Lieber ohne Anfassen, Jungle World Nr. 51, 18. Dezember 2014

http://jungle-world.com/artikel/2014/51/51119.html

Ebd.



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