Lucas Cranach der Ältere, Melancholie |
Butlers Theorien scheinen dennoch
repräsentativ für einen weit verbreiteten Typus öffentlichen Redens über
Sexualität, der über den „queeren Diskurs“ (mit dem Butler normalerweise identifiziert
wird) weit hinausreicht. Ein Diskurs, in dem Sexualität kaum mehr mit
körperlicher Lust, mit Begehren und den Objekten des Begehrens - und schon gar
nicht mit Trieben - zu tun zu haben scheint. Eine Art Sexualität ohne Sex, in dem sich Reden über Sexualität immer mehr
und immer ausschließlicher in Reden über „sexuelle Identität“ verwandelt.
Allerdings würden wir Butler mit der
Annahme, daß Kategorien wie Begehren
oder Objekte des Begehrens in ihren
Texten nicht berücksichtigt würden, Unrecht tun. So kann etwa das Kapitel Melancholy Gender ihres 1997
publizierten Buches The
Psychic Life of Power1) als
kritischer Kommentar zu zentralen
Schriften Freuds über den Zusammenhang zwischen Liebe und Identifizierung gelesen
werden, genauer und „psychoanalytischer“ gesagt: über die Identifizierung als
Modus der Verarbeitung von Objektverlusten.
„Es war uns gelungen“, schreibt Freud
in Das Ich und das Es, „das
schmerzhafte Leiden der Melancholie durch die Annahme aufzuklären, daß ein
verlorenes Objekt im Ich wieder aufgerichtet, also eine Objektbesetzung durch eine Identifizierung
abgelöst wird“ [Hervorhebungen von mir]. „Damals“, fährt er fort, „erkannten
wir aber noch nicht die ganze Bedeutung dieses Vorganges und wußten nicht, wie
häufig und typisch er ist. Wir haben seither verstanden, daß solche Ersetzungen
einen großen Anteil an der Gestaltung des Ichs hat und wesentlich dazu
beiträgt, das herzustellen, was man seinen Charakter
heißt“ [Hervorhebung im Original].
Wenn dem so ist, wenn der Mechanismus
der Identifizierung, bei dem sich das Subjekt mit dem Liebesobjekt, das es verloren
hat, identifiziert, „wesentlich dazu beiträgt, das herzustellen, was man [...] Charakter
heißt“, dann, so Butlers Argumentation, müßte der „Charakter“, sprich die
Identität der heterosexuellen Frau auf ihre Identifizierung mit einem weiblichen,
also homosexuellen, Liebesobjekt gegründet sein, das sie dereinst aufgeben mußte.
Dieses „im Ich wieder aufgerichtet[e]“ verlorene Objekt wäre dann also die
Mutter. Das gleiche gilt – mutatis mutandis - für die sexuelle Identität des
heterosexuellen Mannes.
Das herkömmliche psychoanalytische
Denkmuster, wonach sich die heterosexuelle männliche Identität nach dem
Untergang des Ödipuskomplexes auf der Grundlage der Identifizierung mit dem Vater
als dem bisherigen Rivalen des
Knaben bildet (und die heterosexuelle weibliche Identität auf der Grundlage der
Identifizierung des Mädchen mit der Mutter als der bisherigen Rivalin) wird hier also entscheidend revidiert.
Die Identifizierung, auf der die heterosexuelle Identität beruht, ist nicht die
mit der Mutter/mit dem Vater als der ödipalen Rivalin/als dem ödipalen Rivalen –
sondern die mit der Mutter/dem Vater als Liebesobjekt.2)
Für Butler handelt es sich hier aber nicht
um die Verdrängung einer Liebe zu einem gleichgeschlechtlichen Objekt, die
früher einmal real existiert hätte. Nicht etwas, das früher vorhanden gewesen wäre, wird verdrängt, vielmehr wird die Möglichkeit gleichgeschlechtlichen
Begehrens als solches verworfen, also
von vorne herein verunmöglicht - und zwar jedes
gleichgeschlechtlichen Begehrens, nicht bloß dieses besonderen.
Nach Butler erkauft das
heterosexuelle Subjekt seine Identität als Heterosexuelle(r) durch die „melancholische Einverleibung
jener Liebe, die es verleugnet („heterosexual identity is purchased through a melancholic
incorporation of the love that it disavows“):3)
„Der auf der Kohärenz seiner
heterosexuellen Identität insistierende Mann behauptet, er hätte nie einen
anderen Mann geliebt, und [diesen anderen Mann] daher niemals [...] verloren [...]
Auf diesem „doppelten nie“ gründet also das sogenannte heterosexuelle Subjekt;
eine Identität, die auf der Ablehnung basiert, sich zu einer Bindung [zu jenem
homosexuellen Objekt, Anm. von mir] zu bekennen,
das heißt auf der Ablehnung zu trauern [i.e. diese aufgegebene Bindung zu betrauern,
Anm. von mir] [Hervorhebung von mir].4)
Auch wenn Butler hier das Begehren sexueller
Objekte in Rückbezug auf Freud zum Ausgangspunkt ihrer Überlegungen macht, und sexuelle
Identität mit Freud als „Niederschlag der aufgegebenen Objektbesetzungen“
auffasst - ihre Sorge scheint bei genauerem Hinsehen weniger dem Verlust des
geliebten Objekts oder einer bestimmten Form des Begehrens (und auch nicht dem
Verlust von Lust) zu gelten, als der durch eine heteronormative Kultur erzwungenen
Weigerung des Subjekts, sich zu einer bestimmten Form des Begehrens zu bekennen (to avow). Ich werde auf diesen
Begriff des Bekennens noch zurückkommen.
Weiter oben war die Rede von einer
Art Objektverlust in den aktuellen Sexualitätsdiskursen. Butlers und Freuds Analysen des Zusammenhangs zwischen
Objektverlust und Identifizierung (wir erkaufen „unsere“ Identität, indem wir uns mit den Objekten, die wir nicht
haben können, nicht haben wollen, nicht „haben wollen können“ identifizieren), können wir nun auch als Analysen eben dieser Diskurse zu lesen versuchen. Tun wir dies, mag es uns nicht mehr als Zufall erscheinen, daß wir uns umso obsessiver mit „unserer“ sexuellen Identität beschäftigt finden,
je mehr uns die Fähigkeit und die Lust, real existierende Objekte zu begehren, abhanden
kommt.
Wir werden noch sehen, daß dieser Zusammenhang vielleicht nicht bloß für unser Reden über, sondern auch für unseren Umgang mit Sexualität gilt.
Wir werden noch sehen, daß dieser Zusammenhang vielleicht nicht bloß für unser Reden über, sondern auch für unseren Umgang mit Sexualität gilt.
wird
fortgesetzt
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1) Judith Butler, The Psychic
Life of Power. Theories of Subjection,
Stanford 1997, S. 132 -166
2) Freud war sich der „Unlogik“ dieses
Denkmusters offenbar bewußt. Räumt er doch, nachdem er in Das Ich und das Es festgestellt hat, daß
„Nach der Zertrümmerung des
Ödipuskomplexes [beim Knaben, Anm. von mir] [...] die Objektbesetzung der Mutter
aufgegeben werden [muß]. An ihrer Stelle kann zweierlei treten, entweder eine
Identifizierung mit der Mutter oder eine Verstärkung der Vateridentifizierung.
Den letzteren Ausgang pflegen wir als den normaleren anzusehen. Er gestattet
es, die zärtliche Beziehung zur Mutter in gewissem Maße festzuhalten ... In
ganz analoger Weise kann die Ödipuseinstellung des kleinen Mädchens in eine
Verstärkung ihrer Mutteridentifizierung auslaufen.“,
ein:
„Diese Identifizierungen entsprechen nicht unserer Erwartung, denn sie führen
nicht das aufgegebene Objekt ins Ich ein [...]“ [Hervorhebungen von
mir]
Sigmund Freud, Das Ich und das Es. In ders., Gesammelte Werke, Bd XIII, Frankfurt
am Main 1999, S. 260 - 261
3) Judith Butler, The Psychic
Life of Power. Theories of Subjection,
Stanford 1997 S. 139
4)
Ebd., S. 139 – 140 (von mir übersetzt). Im Original: „[...] the man who insists
upon the coherence of his heterosexuality will claim that he never loved
another man, and hence never lost another man. This "never-never" thus
founds the heterosexual subject, as it were; it is an identity based upon the
refusal to avow an attachment and, hence, the refusal to grieve.
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