Tatsächlichen oder vermeintlichen Moslems, die an „ihrer“ Kultur, resp.
„ihrer“ Religion - zumal öffentlich - so etwas wie Unbehagen artikulieren,
begegnet der weltoffene, den Islam respektierende Zeitgenosse seinerseits mit
Unbehagen – und Intoleranz. Denn Respekt
läßt für religiöse Toleranz allein
deshalb keinen Patz, weil er dieser Toleranz schlicht das Objekt entzieht: geht
es ihm doch einzig um die imaginäre Kategorie „Islam“, nicht um real
existierende Angehörige von Gesellschaften mit islamischer
Bevölkerungsmehrheit.
„Niemand soll wegen seinen
Anschauungen, selbst religiöser Art, belangt werden, solange deren Äußerung
nicht die […] öffentliche Ordnung stört.“
Der religiöse Toleranzgedanke, der hier, im Artikel X der
Erklärung der Menschen- und Bürgerrechte der französischen Nationalversammlung von
1789, als Recht auf Religionsfreiheit
zum Ausdruck kommt, gründet auf der Freiheit des Einzelnen der Religion
gegenüber – jener Voraussetzung aller Aufklärung.
Daß der religiöse Toleranzgedanke ihren angemessensten
Ausdruck hier in der Sphäre des Rechts
findet, ist im Hinblick auf die psychoanalytische Unterscheidung zwischen Gesetz und Über-Ich kein Zufall: Während
das Gesetz, das unsere Handlungen zu
steuern versucht, unserer inneren
Einstellung gegenüber gleichgültig bleibt (so daß ich das Gesetz befolgen
kann ohne mit ihm identifiziert zu
sein), zielt das Über-Ich auf unser Innerstes. Es genügt ihm nicht, daß wir
seine Gebote bloß befolgen – es will, daß wir uns mit ihnen identifizieren. Das Über-Ich sagt uns
also nicht (nur), was wir tun sollen
- sondern was wir wollen sollen. So
daß uns nicht der geringste innere Spielraum bleibt. Während es also relativ
leicht fällt, gegen das Gesetz aufzubegehren, ist das Rebellieren gegen das
Über-Ich unendlich schwieriger, zwingt es uns doch, uns selbst zu unterwerfen –
und diese unsere Unterwerfung insgeheim auch noch zu genießen.
Während wir der religiösen Toleranz also in der Sphäre des
Gesetzes begegnen, dem der Inhalt des
Glaubens der Rechtssubjekte gleichgültig
ist (solange jener Glaube „nicht die
öffentliche Ordnung stört“), ist die Domäne des Respekts das des Über-Ichs. Jenes kleinen Gottes des
Identifizierungsglaubens, der unserem weltoffenen Zeitgenossen gebietet, „den
Islam“ zu respektieren, also einen spezifischen Glauben mit spezifischen Inhalten, all jene - vermeintliche oder
tatsächliche - Moslems, die sich der Ideologie der vollen Identität mit „ihrem
Islam“ nicht fügen, aber nicht
toleriert.
Das – mehr und mehr um sich greifende - Respekt-Gebot des
Über-Ichs läßt uns weit hinter dem religiösen Toleranzgedanken der Aufklärung zurückfallen.
Religionsfreiheit, die einmal die Freiheit des Einzelnen der Religion
gegenüber meinte (und die Freiheit von
Religion selbstverständlich miteinschloß) bedeutet im Respekt-Diskurs des Über-Ichs
nunmehr die Freiheit der Religion gegenüber dem Einzelnen. Das Anrecht
religiöser Überzeugungen aller Art nicht bloß auf Toleranz, sondern auf Respekt
– auf jene glaubensartige Verehrung also
im erwähnten „monolatrischen“ Sinn.
Der einzelne – vermeintliche oder tatsächliche - Moslem
verliert im Respekt-Diskurs nicht bloß seine Freiheit der Religion gegenüber,
sondern seine Eigenständigkeit. Wird er doch in fixer, unauflöslicher
Verbindung mit „dem Islam“ wahrgenommen, in dem er aufgehen und sich auflösen
soll.
Ende
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