... und Religionskritik
ist die Voraussetzung aller Kritik (Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie.
Einleitung)
Was würde es
aber bedeuten, die Ideologie der vollen
Identität zu brechen - jene falsche Verknüpfung zwischen dem „Islam“ und
Subjekten aus Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit aufzulösen?
Es würde zum
einen dem trivialen Umstand Rechnung tragen, daß Gesellschaften mit islamischer
Bevölkerungsmehrheit nicht nur aus bekennenden Moslems bestehen, sondern auch
aus Christen, Juden, Atheisten, Agnostikern etc. und daß dies natürlich auch
für aus diesen Ländern stammenden Migranten gilt. Jenen vermeintlichen – aus
der Sicht der Pegida- und FPÖ-Rassisten - „optischen Moslems“, denen häufig die
selben Ressentiments entgegengebracht werden, wie ihren moslemischen
Landsleuten.
Entscheidender
ist, daß ein großer Teil der in Deutschland lebenden Migranten -
oder jener Menschen mit „Migrationshintergrund“ –, die aus mehrheitlich
islamischen Ländern und auch tatsächlich aus moslemischen Familien stammen,
in Umfragen angeben, keine Moslems zu sein. Laut Riem Spielhaus sind das 36%
der Befragten aus dem „Nahen Osten“, 50% der befragten Iraner und 22% der
Befragten aus der Türkei:
„Wesentliche
Erkenntnis der Umfrage ist, dass ein substantieller Anteil von [in Deutschland
lebenden, Anm. von mir] Personen aus mehrheitlich moslemischen Ländern der
Selbsteinschätzung zufolge angibt, kein Moslem zu sein“ (Riem Spielhaus, Wer ist Moslem und wenn ja wie viele?
https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Muslime_Spielhaus_MDI.pdf)
Mehr noch: Laut Spielhaus ist auch ein signifikanter Teil
jener Migranten (oder der Personen mit „Migrationshintergrund“), die sich selbst
als Moslems bezeichnen, in Wahrheit nicht
religiös. Für diese Menschen hat die Selbstzuschreibung „moslemisch“
offenbar eine rein „ethnisch-kulturelle“ Dimension:
„Hinzu kommt
ein auf den ersten Blick überraschendes Ergebnis, das erstaunlicherweise bis
heute kaum wahrgenommen und diskutiert wurde: Ein signifikanter Anteil der
Befragten, die sich laut Studie durchaus zum Islam bekannten, charakterisierte
sich außerdem als „nicht gläubig“ oder „eher nicht gläubig“ [...] anders
gesagt, spielt der Glaube für sie keine große Rolle in ihrem Leben.“ (Ebd.)
„Menschen
aus moslemischen Ländern werden [...] immer wieder mit der Frage nach der
religiösen Zugehörigkeit konfrontiert und unabhängig von ihrer eigenen
religiösen Praxis oder Selbstdefinition zum Moslem erklärt [Stichwort: Muslimness, Anm. von mir] oder nehmen
diese Zuschreibung an, ohne dass dies notwendigerweise ihre Lebensrealität
widerspiegelt.“ (Ebd.)
Darüber hinaus wäre die Überwindung jener Ideologie der vollen Identität aber auch und gerade im
Blick auf jene Menschen von Bedeutung, die sich aus freien Stücken „voll“ mit
dem Islam identifizieren - denen jene volle Identität also nicht bloß von außen
zugeschrieben wird. Wie jede andere ist auch die selbstgewählte „volle
Identität“ mit dem „Islam“ eine imaginäre - allerdings mit weitreichenden realen
Folgen.
Linke Religionskritik, die diesen Namen verdient, müßte genau hier, wo
Subjekte sich mit ihrer eigenen Unterwerfung identifizieren, ihre eigene
Unterdrückung begehren – und aus der Identifikation mit dieser ihrer
Unterwerfung Selbstachtung beziehen, ansetzen.
Macht kann sich
ohne Identifizierungsprozesse dieser Art weder etablieren noch reproduzieren. Wenn
sie „stark“ sein will, wie Foucault sagt, darf sie nicht nur unterdrücken, sie muß
die Subjekte, die ihr unterworfen sind, dazu verführen, ihre eigene Unterdrückung zu begehren.
Und weil „Identifizierung mit der eigenen Unterdrückung, aus der
frau/man Selbstachtung bezieht“ (sprich: narzißtische Lust) ein anderer Name
für den Glauben ist - ist Religionskritik
der Kern jeder Machtkritik (nicht nur
von Machtkritik in Zusammenhang mit der „Erklärung von religiösem
Fundamentalismus“).
Die Strategie der Kommentatorin, Religionskritik klein zu reden, indem
sie diese von Machtkritik künstlich trennt - um daraufhin zu behaupten,
„Religionskritik alleine“ sei „zu wenig“, und genüge nicht um „religiösen
Fundamentalismus“ zu erklären, beraubt die Machtkritik ihrer Substanz.
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