Mittwoch, 22. Juli 2015

Warum (manche) Linke über den Islam nicht reden können (2)


... und Religionskritik ist die Voraussetzung aller Kritik (Karl Marx, Zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung)

Was würde es aber bedeuten, die Ideologie der vollen Identität zu brechen - jene falsche Verknüpfung zwischen dem „Islam“ und Subjekten aus Ländern mit islamischer Bevölkerungsmehrheit aufzulösen?

Es würde zum einen dem trivialen Umstand Rechnung tragen, daß Gesellschaften mit islamischer Bevölkerungsmehrheit nicht nur aus bekennenden Moslems bestehen, sondern auch aus Christen, Juden, Atheisten, Agnostikern etc. und daß dies natürlich auch für aus diesen Ländern stammenden Migranten gilt. Jenen vermeintlichen – aus der Sicht der Pegida- und FPÖ-Rassisten - „optischen Moslems“, denen häufig die selben Ressentiments entgegengebracht werden, wie ihren moslemischen Landsleuten.

Entscheidender ist, daß ein großer Teil der in Deutschland lebenden Migranten - oder jener Menschen mit „Migrationshintergrund“ –, die aus mehrheitlich islamischen Ländern und auch tatsächlich aus moslemischen Familien stammen, in Umfragen angeben, keine Moslems zu sein. Laut Riem Spielhaus sind das 36% der Befragten aus dem „Nahen Osten“, 50% der befragten Iraner und 22% der Befragten aus der Türkei:

„Wesentliche Erkenntnis der Umfrage ist, dass ein substantieller Anteil von [in Deutschland lebenden, Anm. von mir] Personen aus mehrheitlich moslemischen Ländern der Selbsteinschätzung zufolge angibt, kein Moslem zu sein“ (Riem Spielhaus, Wer ist Moslem und wenn ja wie viele?

https://mediendienst-integration.de/fileadmin/Dateien/Muslime_Spielhaus_MDI.pdf)

Mehr noch: Laut Spielhaus ist auch ein signifikanter Teil jener Migranten (oder der Personen mit „Migrationshintergrund“), die sich selbst als Moslems bezeichnen, in Wahrheit nicht religiös. Für diese Menschen hat die Selbstzuschreibung „moslemisch“ offenbar eine rein „ethnisch-kulturelle“ Dimension:

„Hinzu kommt ein auf den ersten Blick überraschendes Ergebnis, das erstaunlicherweise bis heute kaum wahrgenommen und diskutiert wurde: Ein signifikanter Anteil der Befragten, die sich laut Studie durchaus zum Islam bekannten, charakterisierte sich außerdem als „nicht gläubig“ oder „eher nicht gläubig“ [...] anders gesagt, spielt der Glaube für sie keine große Rolle in ihrem Leben.“ (Ebd.)

„Menschen aus moslemischen Ländern werden [...] immer wieder mit der Frage nach der religiösen Zugehörigkeit konfrontiert und unabhängig von ihrer eigenen religiösen Praxis oder Selbstdefinition zum Moslem erklärt [Stichwort: Muslimness, Anm. von mir] oder nehmen diese Zuschreibung an, ohne dass dies notwendigerweise ihre Lebensrealität widerspiegelt.“ (Ebd.)

Darüber hinaus wäre die Überwindung jener Ideologie der vollen Identität aber auch und gerade im Blick auf jene Menschen von Bedeutung, die sich aus freien Stücken „voll“ mit dem Islam identifizieren - denen jene volle Identität also nicht bloß von außen zugeschrieben wird. Wie jede andere ist auch die selbstgewählte „volle Identität“ mit dem „Islam“ eine imaginäre - allerdings mit weitreichenden realen Folgen.

Linke Religionskritik, die diesen Namen verdient, müßte genau hier, wo Subjekte sich mit ihrer eigenen Unterwerfung identifizieren, ihre eigene Unterdrückung begehren – und aus der Identifikation mit dieser ihrer Unterwerfung Selbstachtung beziehen, ansetzen.

Macht kann sich ohne Identifizierungsprozesse dieser Art weder etablieren noch reproduzieren. Wenn sie „stark“ sein will, wie Foucault sagt, darf sie nicht nur unterdrücken, sie muß die Subjekte, die ihr unterworfen sind, dazu verführen, ihre eigene Unterdrückung zu begehren.

Und weil „Identifizierung mit der eigenen Unterdrückung, aus der frau/man Selbstachtung bezieht“ (sprich: narzißtische Lust) ein anderer Name für den Glauben ist - ist Religionskritik der Kern jeder Machtkritik (nicht nur von Machtkritik in Zusammenhang mit der „Erklärung von religiösem Fundamentalismus“).

Die Strategie der Kommentatorin, Religionskritik klein zu reden, indem sie diese von Machtkritik künstlich trennt - um daraufhin zu behaupten, „Religionskritik alleine“ sei „zu wenig“, und genüge nicht um „religiösen Fundamentalismus“ zu erklären, beraubt die Machtkritik ihrer Substanz.

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