Die Strategie der Kommentatorin, Religionskritik klein zu reden, indem
sie diese von Machtkritik künstlich trennt - um daraufhin zu behaupten,
„Religionskritik alleine“ sei „zu wenig“, und genüge nicht um „religiösen
Fundamentalismus“ zu erklären, beraubt die Machtkritik ihrer Substanz.
Die Argumentationslinie, die Linke scheue nicht vor Kritik zurück, sie
scheue im Gegenteil „vor zu wenig
Kritik zurück, denn Religionskritik alleine“ sei „zu wenig“ - um religiösen
Fundamentalismus zu erklären, brauche es „Machtkritik“, erinnert darüber hinaus
in fataler Weise an die alte, seit August Bebel in linken Debatten immer wieder
reproduzierte Rede vom Hauptwiderspruch (der
Klassengesellschaft) und vom Nebenwiderspruch
(der Frauenunterdrückung), die - hätte die Kommentatorin sie formuliert -
in etwa so lauten würde:
„Der Vorwurf, die Linke scheue vor Kritik an der Frauenunterdrückung
zurück, ist grundfalsch. Im Gegenteil: Sie scheut vor zu wenig Kritik zurück. Denn Kritik am Nebenwiderspruch ‚Frauenunterdrückung’ alleine ist zu wenig, um Frauenunterdrückung zu
erklären (und zu bekämpfen). Dafür braucht es Machtkritik, d.h. Kritik am Hauptwiderspruch, der Klassengesellschaft.“
Am 8. März 1979 - wenige Wochen nach dem Sieg der islamischen Revolution
– demonstrierten zehntausende iranische Frauen gegen die drohende Einführung
des Kopftuchzwangs. Um sie mundtot zu machen, wurde ihnen die iranische Version
der Formel vom Haupt- und vom Nebenwiderspruch entgegengeknallt: Sie mögen bitte
ihren kleinlichen Kampf gegen religiöse Bevormundung bleiben lassen, um das
große „antiimperialistische Bündnis“ mit den Islamisten, von dem viele iranische Linke phantasierten, ja nicht
zu gefährden.
Gut möglich, daß in den Debatten jener Tage auch von Religionskritik die Rede war. Wäre dem
so, wäre das Argument der Kommentatorin,
„Religionskritik allein“ sei zweitrangig (in jenen Tagen also: Kritik an der
religiösen Bevormundung von Frauen), weil „zu wenig“ - es bräuchte „Machtkritik“ (in jenen Tagen also:
Kritik am „Imperialismus“) den linken Verbündeten der Islamisten mit Sicherheit
sehr „brauchbar“ erschienen. Ähnlich „brauchbar“, wie es den vielen anderen –
untereinander durchaus unterschiedlichen - Vertretern des linken Spektrums
erscheinen müßte, die sich mit der islamischen Revolution solidarisch zeigten. Oder
heute in der Islamischen Republik einen strategischen Verbündeten sehen:
- Jenen „Antiimperialisten“ etwa, die, wann immer von
Menschenrechtsverletzungen im Iran die Rede ist, diese verharmlosen,
relativieren oder verteidigen („In Saudi-Arabien, Guantanamo, Abu Ghraib ...
ist es/ war es doch viel schlimmer!“). Und
den Iran, in dem ein brutaler, mafiös durchwachsener Kapitalismus herrscht,
nicht selten als „antikapitalistische Insel“ im kapitalistischen Weltsystem
halluzinieren.
- Oder: John Rose, dem
Nahostexperten der Socialist Worker Party,
der größten Gruppierung der radikalen britischen Linken, der 2009, am Höhepunkt
der Massenproteste im Iran, seine volle Unterstützung für die islamische
Revolution von 1979 bekundete.
- Auch der brillante linke Theoretiker Slavoj Zizek, an sich ein scharfsichtiger Kritiker des
linksliberalen mainstreams, scheint eine Schwäche für den politischen Islam zu
haben. So schreibt er etwa in seinem Buch „Auf verlorenem Posten“, er sei „versucht,
zu behaupten“, daß der Islam „seine wahre Größe ... aus seiner potentiellen
politischen Anwendbarkeit“ beziehe.
- Oder: Der verstorbene venezuelanische Präsident Hugo Chavez, der dem Iran 2006 wörtlich seinen „bedingungslosen
Beistand“ im Kampf gegen den Imperialismus zusicherte - und bis zu seinem Tod herzliche
Beziehungen zu Irans Ex-Präsident Ahmadinejad pflegte.
Die Liste ließe sich beliebig fortsetzen.
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