Sonntag, 24. April 2016

"Obama ist nicht schwarz" – oder wie es kam, daß die Mormonen 2011 keine Terroristen wurden (2)

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Jean Améry
Der Schriftsteller und Widerstandskämpfer Jean Améry war ein Kleinkind als sein jüdischer Vater als Tiroler Kaiserjäger im Ersten Weltkrieg fiel. Er wurde dann von seiner katholischen Mutter erzogen. 1938, nach dem Anschluß Österreichs an das nationalsozialistische Deutschland, floh er mit seiner jüdischen Frau aus Wien nach Belgien, wo er 1940 von den Nazis festgenommen und in einem südfranzösischen Lager interniert wurde. 1941 gelang ihm die Flucht. Zurück in Belgien schloß er sich einer Widerstandsgruppe an. 1943 wurde er erneut verhaftet und im Lager Breendonk schwer gefoltert. 1944 wurde er nach Ausschwitz und in weiterer Folge nach Buchenwald und Bergen-Belsen deportiert. Als er schließlich befreit wurde, war seine Frau, um derentwillen er in jenen Konzentartionslagern „zwei Jahre lang die Lebenskräfte wach gehalten hatte“, nicht mehr am Leben.


Zwanzig Jahre später begann Améry das Unbewältigbare jener Erlebnisse im Essayband Jenseits von Schuld und Sühne schreibend zu bewältigen:



„ ... als ich 1935 in einem Wiener Café über eine Zeitung saß und die eben drüben in Deutschland erlassenen Nürnberger Gesetze studierte [...] brauchte [ich] sie nur zu überfliegen und konnte schon gewahr werden, daß sie auf mich zutrafen. Die Gesellschaft, sinnfällig im nationalsozialistischen deutschen Staat, den [...] die Welt als legitimen Vertreter des deutschen Volkes anerkannte, hatte mich soeben in aller Form [...] zum Juden gemacht [...] Ich war, als ich die Nürnberger Gesetze gelesen hatte, nicht jüdischer als eine halbe Stunde zuvor. Meine Gesichtszüge waren nicht mediterran-semitischer geworden [...] der Weihnachtsbaum hatte sich nicht magisch verwandelt in den siebenarmigen Leuchter. Wenn das von der Gesellschaft über mich verhängte Urteil einen greifbaren Sinn hatte, konnte es nur bedeuten, ich sei fürderhin dem Tode ausgesetzt. Dem Tode. Nun, dem gehören wir allen an, über kurz oder lang. Aber der Jude, als der ich durch Gesetzes- und Gesellschaftsbeschluß jetzt dastand [...], dessen Tage waren eine zu jeder Sekunde widerrufbare Ungnadenfrist [...] ich [bin] gewiß, daß ich in [...] diesem Augenblick der Gesetzeslektüre [...] das Todesurteil schon vernahm, und dazu gehörte [ja] auch keine besondere Geschichtsempfindlichkeit [...] Ich hatte [...] in diesen Tagen [einmal] in einer illustrierten Zeitung das Photo einer Winterhilfsveranstaltung in einer rheinischen Stadt gesehen, und da prangte im Vordergrund, vor dem elektrisch strahlenden Lichterbaum ein Spruchband [...] ‚Keiner soll hungern, keiner soll frieren, aber die Juden sollen krepieren...’“



Die – von den Nationalsozialisten beherrschte - Gesellschaft hatte also Améry in diesem Augenblick „zum Juden gemacht“. Die Nürnberger Rassengesetze definierten ja akribisch, anhand der Kriterien Abstammung, konfessionelle Zugehörigkeit und Ehe, ob jemand als Jude galt, als jüdischer Mischling ersten oder zweiten Grades, oder als „deutschblütig“. Améry galt, weil er zwei jüdische Großeltern besaß und mit einer Jüdin verheiratet war, als „Volljude“ - die jüdische Identität wurde hier also gesetzlich konstruiert.



Aber: „Wenn Jude sein heißt“, schreibt Améry an einer anderen Stelle, „mit anderen Juden das religiöse Bekenntnis zu teilen, zu partizipieren an jüdischer Kultur und Familientradition, ein jüdisches Nationalideal zu pflegen, dann befinde ich mich in aussichtsloser Lage. Ich glaube nicht an den Gott Israels. Ich weiß sehr wenig von jüdischer Kultur. Ich sehe mich, einen Knaben, Weihnachten zur Mitternachtsmette durch ein verschneites Dorf stapfen, ich sehe mich in keiner Synagoge. Das Bild des Vaters – den ich kaum gekannt habe [...] – zeigt mir keinen bärtigen jüdischen Weisen, sondern einen Tiroler Kaiserjäger in der Uniform des Ersten Weltkriegs.“



Identität denken wir gewöhnlich als etwas eigenes, uns zugehöriges, vertrautes – und bedeutsames. Glauben wir diese unsere Identität sei „verschüttet“ oder gar „verloren“, fühlen wir uns aufgerufen, dieses Verschüttete oder Verlorene zu suchen: in den Tiefen unseres Selbst, in Erinnerungen oder in den Traditionen der Vorfahren.



Von all dem finden wir in Amérys Verhältnis zu „seinem“ Jüdisch-sein nicht die geringste Spur.



wird fortgesetzt

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