Jener von Debra Dickersen repräsentierte Diskurs, der Obama das Schwarz-Sein abspricht, bringt gegen die negative rassistische Identifizierung aller Schwarzen als nigger eine positive Identität in Stellung: die Abstammung „echter“ schwarzer US-Amerikaner von westafrikanischen Sklaven.
Anders Améry, der seine Identifizierung als Jude durch den nationalsozialistischen Todfeind als gesellschaftliches Urteil radikal auf sich nahm - und sich weigerte, vor der negativen Identität, die ihm als Ausschwitz-Nummer auf dem linken Unterarm eingeschrieben war in eine positive Identität als - religiöser, nationaler, kultureller, traditioneller - Jude zu flüchten.
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Juden sind für den modernen Antisemiten
„Personifikationen der unfaßbaren, zerstörerischen, unendlich mächtigen [...] Herrschaft des Kapitals.“ (Moishe Postone)
Der Antisemitismus ist daher, wie Detlev Claussen bemerkt, nicht einfach irgendeine „Unterabteilung des Rassismus“. Dennoch aber - und bei aller Unterschiedlichkeit - gibt es eine für unseren Zusammenhang wichtige Gemeinsamkeit zwischen der Identifizierung von Juden durch die Rassengesetze der Nazis und der rassistischen Identifizierung schwarzer US-Amerikaner als nigger.
Die per Gesetz zu Juden Gestempelten sind, wie die als nigger Identifizierten, Opfer eines - wie Améry es nennt - „Würdeentzugs“, den dieser in der Todesdrohung eingebettet sieht.
„Jude sein, das hieß für mich von diesem Anfang an, ein Toter auf Urlaub sein, ein zu Ermordernder, der nur durch Zufall noch nicht dort war, wohin er rechtens gehörte [...] In der Todesdrohung, die ich zum ersten Mal in voller Deutlichkeit beim Lesen der Nürnberger Gesetze verspürte, lag auch das, was man [...] die methodische ‚Entwürdigung’ der Juden durch die Nazis nennt.“
Die Todesdrohung, mit der Schwarze in den USA konfrontiert waren und sind, ist zwar – weil sie nicht, wie im Falle des Holocaust, einen industriellen Massenmord ankündigt - gänzlich anderer Art als jene von der Améry spricht. Todesdrohung, die Entwürdigung in sich birgt, war, ist und bleibt sie aber dennoch.
„Grundsätzlich galt ... für alle Sklaven, daß sie [...] in den Südstaaten der USA vor dem Gesetz so wie Vieh als Eigentum galten und keinerlei persönliche Rechte hatten. Sie waren der Willkür ihres Besitzers schutzlos ausgeliefert, d.h. er konnte sie einsperren, hungern lassen, auspeitschen [...] ja [soga] töten ohne dafür rechtlich belangt zu werden.“ (Britta Waldschmidt-Nelson, Malcolm X: Der schwarze Revolutionär)
Die Ku Klux Klan-Morde, die Morde zum Beispiel an den Bürgerrechtsaktivisten 1964 in Mississippi, die bis heute nicht angemessen gesühnt wurden, und der Umstand, daß der Ku Klux Klan seit der Wahl Obamas neuen Zulauf verzeichnet – erinnern daran, daß diese Verangenheit nicht vergehen will. Gibt man in die Google-Suchleiste die Begriffe USA und Polizist ein, lautet der erste Vorschlag: erschießt Schwarzen.
wird fortgesetzt
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