Donnerstag, 7. April 2016

Stiller Fanatismus (16)

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Unsere Zweifel an der Glaubensförmigkeit jener drei narzißtisch-asketischen Haltungen „gewöhnlicher Subjekte“ (der Sexualität, der Arbeit und der Politik gegenüber) vermochten wir zwar zu zerstreuen. Wir zögern aber, jenen drei Haltungen allein um dieser Glaubensform willen das Merkmal fanatisch zuzuschreiben. Hier müßte vielleicht noch ein weiteres  Kriterium hinzukommen - wie bei der Analyse der Identifizierung jener EU-Politiker mit den Austeritätsregeln, wo zum Kriterium „Glauben im Sinne eines Existenzurteils“ das Kriterium „verstellte Sicht auf die Realität“ hinzugekommen war.


Zunächst fällt aber auf, daß die beiden beschriebenen Modi des Glaubens regelmäßig „zusammenspielen“, ja daß es uns meist schwer fällt, sie überhaupt zu unterscheiden.


Die Partnerin jenes Mannes, der sein sexuelles Begehren verloren hat, weil er (im Sinne des „Für-gut-haltens“) an seinen Job glaubt - und nicht mehr an die Liebe -, mag sich darüber beschweren, daß für ihren Mann nur der Job existiere, daß er sie wie Luft behandle. Hier wirkt der Glaube im Sinne des „Für-gut-haltens“ (des Jobs) zugleich als Glaube im Sinne eines Existenzurteils: Für den Mann existiert nur sein Job. Die Partnerin hingegen hat gleichsam aufgehört, zu existieren.


Früher einmal, als er seine Frau noch liebte, mögen seine Freunde über denselben Mann gesagt haben: Die Liebe zu dieser Frau macht ihn blind. Auch hier wirkt Glauben im Sinne des Wertschätzens, Verehrens - und Liebens - zugleich als Glauben im Sinne eines Existenzurteils: der Verliebte sieht die „negativen Eigenschaften“ seiner Geliebten nicht, so als würden sie nicht existieren, ein Vorgang, den die Psychoanalyse Idealisierung nennt.1


Diesem „Liebe-macht-blind-Mechanismus“ begegnen wir auch bei ökologisch- und/oder politisch-korrekten Zeitgenossen sowie bei der obsessiven Beschäftigung mit der „eigenen“ sexuellen Identität. Das narzißtische Bemühen der Ersteren, ökologischen oder politisch-korrekten Idealen zu entsprechen, macht sie, wie gezeigt, für harte Realitäten und gesellschaftspolitische Zusammenhänge blind. Im zweiteren Fall verschließt die selbstverliebte Fixierung auf sexuelle Identität die Augen der Betroffenen vor der „stinknormalen“ (körperlichen) Lust.


Im Falle des Glaubens an die Austerität schließlich will uns die Unterscheidung der beiden Modi des Glaubens noch weniger gelingen: Daß der Glaube eines Austeritätspolitikers an die Regeln der Austerität seine Sicht auf die Realität verstellt, so daß er glaubt, Austerität würde zu einer realen Verbesserung der Lage der Betroffenen führen (Glauben im Sinne des „Für-existent-haltens“) heißt ja nichts anderes, als daß er an jene Austeritätsregeln zugleich auch im zweiteren Sinne des „Für-gut-haltens“ glaubt.


Aber halt. Was ist mit der Aussage des austeritätsgläubigen Ökonomen Thiess Büttner, den wir oben zitierten, und der eine Abmilderung der Austeritätspolitik für Griechenland abgelehnt hatte, „selbst wenn dies zu einer Stärkung der griechischen Wirtschaft führen sollte“? Der Gedanke, die Abmilderung des Sparkurses könne zur Stärkung einer Volkwirtschaft führen, müßte einem typischen Austeritätsgläubigen doch ganz fremd sein. Tatsächlich ist Büttners Aussage aus der Sicht des Austeritätsglaubens ketzerisch, für uns aber - von großem Erkenntniswert. Gibt sie doch in verräterischer Weise den Blick frei auf die Tiefenschicht solcherart Bekenntnisglaubens bzw. solcherart Identifizierungen mit Regeln. Eine Schicht, in der es im Unterschied zu den bewußten Glaubensinhalten der Träger solcher Glaubensbekenntnisse nicht mehr um die Auswirkungen auf die reale Außenwelt geht, weil die reale Außenwelt nicht mehr interessiert, sondern nur - die Regel um der Regel willen.



„Dein Sohn, der kleine Rahman, hat Sehnsucht nach Dir.“ sagte der Besucher. „Sag ihm“, sagte der Mann auf der Mauer, „daß mein Herz von der Liebe zum wahren Rahman erfüllt ist. Und daß diese Liebe keinen Platz für eine andere läßt“.
 

Das ist das Irritierende und Bestürzende am Fanatismus – die absolute Loslösung von allem „Irdischen“, das brutale Desinteresse an der Welt der Objekte.



wird fortgesetzt


1) Genaugenommen zeigt sich hier, daß Glauben im Sinne von „Für-gut-halten“ (oder allgemeiner und mit Freud gesprochen: im Sinne von „einem Ding eine Eigenschaft zu- oder absprechen“) immer zugleich auch ein Existenzurteil darstellt. Geht es dabei doch immer auch um die Frage, ob das Objekt, dem ich bestimmte Eigenschaften zuschreibe, diese auch tatsächlich besitzt. Oder anders: ob ein bestimmtes Objekt als Träger einer bestimmten Eigenschaft, die ich ihm „zu- oder abspreche“, tatsächlich existiert oder nicht.

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